Drei Generalversammlungen im Stiegenhaus zulässig

Drei Generalversammlungen im Stiegenhaus zulässig

Geschäftsführer müssen Generalversammlungen selbst einberufen, oder ihr Rechtsanwalt muss sich ausdrücklich auf eine Vollmacht der Geschäftsführer berufen, wenn er für diese Generalversammlungen einberuft. Eine Generalversammlung abberaumen darf nur der, der sie einberufen hat. Wenn sichergestellt ist, dass Gesellschafter einer GmbH an Generalversammlungen teilnehmen können, kann der Versammlungsort auch außerhalb eines klassischen Büros sein – zum Beispiel in einem Stiegenhaus.

Sachverhalt

Drei GmbHs mit weitgehend identer Gesellschafterstruktur haben je drei Gesellschafter, von denen zwei miteinander streiten.

Die Mehrheitsgesellschafterin, welche mit ungefähr 75% beteiligt ist, fordert im Februar 2020 – also vor dem ersten Corona Lockdown – die jeweilige Geschäftsführung der drei GmbHs auf, je eine Generalversammlung einzuberufen (Einberufungsverlangen gemäß § 37 Abs. 1 GmbHG), und zwar mit den Tagesordnungspunkten Abberufung der bisherigen und Bestellung neuer Geschäftsführer.

Die Geschäftsführer lassen durch den Rechtsanwalt der GmbHs fristgerecht je eine Generalversammlung mit der von der Mehrheitsgesellschafterin gewünschten Tagesordnung einberufen, wobei alle drei Generalversammlungen zur selben Uhrzeit stattfinden sollen. Der Rechtsanwalt beginnt jedes der drei Einberufungsschreiben mit „Wir vertreten die GmbH rechtsfreundlich.“ und wählt als Ort für die drei Generalversammlungen seine Geschäftsanschrift (Straße mit Hausnummer & Bezirk), seine Kanzleiräume führt er in Klammer an.   

Der Mehrheitsgesellschafterin reicht dies nicht, sie vertritt den Rechtsstandpunkt, dass Generalversammlungen nicht vom Rechtsanwalt einer GmbH, sondern nur von den Geschäftsführern einberufen werden dürften und beruft gemäß § 37 Abs. 2 GmbHG je eine Generalversammlung für die drei GmbHs ein (Selbsthilferecht). Origineller Weise beruft die Mehrheitsgesellschafterin „ihre“ drei Generalversammlungen so ein, dass sie am selben Tag zur selben Uhrzeit und am selben Ort stattfinden sollten, wie jene drei Generalversammlungen, die der Rechtsanwalt für die drei GmbHs einberufen hatte.

Zwei Tage vor den Generalversammlungen teilte der Rechtsanwalt der drei GmbHs der Mehrheitsgesellschafterin schriftlich mit, dass er auch die Geschäftsführer der drei GmbHs vertrete, die seine Einberufungen genehmigen würden, weshalb das Selbsthilferecht der Mehrheitsgesellschafterin nicht greife. Mit anderen Worten: Die Einberufungen der Mehrheitsgesellschafterinnen seien zu Unrecht erfolgt.

Gleichzeitig beraumte der Rechtsanwalt „seine“ drei Generalversammlungen wegen des inzwischen verordneten Corona Lockdowns ab und verlegte sie auf 15. April 2020, denn auf Grund der damals geltenden Corona Verordnung sollte der erste Lockdown am 13. April 2020 enden. Schließlich teilte der Rechtsanwalt mit, dass seine Kanzlei am ursprünglichen Generalversammlungs-Tag wegen Corona nicht zur Verfügung stehe.

Die Mehrheitsgesellschafterin konterte, dass „ihre“ Einberufungen rechtskonform erfolgt seien und nur sie „ihre“ Generalversammlungen abberaumen bzw. verle­gen könnte, die vom Rechtsanwalt mitgeteilte Verle­gung „ihrer“ Generalversammlungen sei daher unbeachtlich.

Es waren also zum selben Zeitpunkt für denselben Ort für jede der drei GmbHs zwei Generalversammlungen einberufen,

  • einmal vom Rechtsanwalt der GmbHs, der aber „seine“ Generalversammlungen auf einen späteren Tag verlegte, und
  • einmal von der Mehrheitsgesellschafterin, die sich auf ihr Selbsthilferecht berief (§ 37 Abs. 2 GmbHG).

Es kommt, wie es kommen musste: Die Mehrheitsgesellschafterin wollte „ihre“ drei Generalversammlungen wahrnehmen und fand sich, vertreten durch drei Rechtsan­wälte, mit drei Notaren pünktlich an der Geschäftsanschrift des Rechtsanwaltes der GmbH ein. Die Haustüre wurde geöffnet, die Türe zu den Kanzleiräumen dagegen war versperrt, an dieser hing ein Zettel, auf dem unter Hinweis auf Covid-19 stand, dass kein Parteienverkehr stattfinde. Trotz mehrmaligen Läutens wurde die Tür zu den Kanzleiräumen nicht geöffnet.

Die mit der Mehrheitsgesellschafterin streitende Minderheitsgesellschafterin kam nicht, die unbeteiligte dritte Gesellschafterin war nicht pünktlich. Nun hielt

  • einer der drei Rechtsanwälte der Mehrheitsgesellschafterin mit einem der drei Notare die Generalversammlung für eine der drei GmbHs auf dem Podest vor den Kanzleiräumen des Rechtsanwaltes der GmbH ab,
  • einer anderer der drei Rechtsanwälte mit einem anderen der drei Notare für die zweite GmbH auf dem Podest im Halbstock über den Kanzleiräumen und
  • der dritte Rechtsanwalt mit dem dritten Notar für die dritte GmbH auf dem Podest im Halbstock unter den Kanzleiräumen.

Die drei Generalver­sammlungen wurden somit im Stiegenhaus und zeitgleich abgehalten. Der wegen Corona erforderliche Ein-Meterabstand wurde eingehalten.

In jeder der drei Generalversammlungen wurden die bisherigen Geschäftsführer abberufen und neue Geschäftsführer bestellt. Das Ganze dauerte vier Minuten. Wenige Minuten danach kam die unbeteiligte dritte Gesellschafterin, jedoch waren zu diesem Zeitpunkt die drei Generalversammlungen bereits beendet.

Die Minderheitsgesellschafterin wehrte sich gegen die Abberufung der bisherigen und Bestellung neuer Geschäftsführer mit Anfechtungsklagen gemäß § 41 GmbHG. Sie argumentierte im Wesentlichen, dass

  • sowohl die Einberufung der Generalversammlungen durch den Rechtsanwalt der drei GmbHs als auch deren Verlegung wegen der Covid-19-Verordnung rechtswirksam gewesen sei, sodass die Mehrheitsgesellschafterin kein Recht gehabt hätte, unter Inanspruchnahme des Selbsthilferechtes gemäß § 37 Abs. 2 GmbHG „ihre eigenen“ Generalversammlungen einzuberufen beziehungsweise abzuhalten, und
  • das Stiegenhaus kein geeigneter Ort für Generalversammlungen sei, weil auf Grund der Covid-19-Maßnahmen-Verordnung das Betreten öffentlicher Orte verboten gewesen und ein Stie­genhaus als öffentlicher Ort zu qualifizieren sei, da gemäß der Wiener Haustorsperrverordnung die Tore in der Zeit von 7:00 bis 21:00 Uhr offen zu halten seien.

Das Oberlandesgericht Wien hat zu 2 R 68/21s Folgendes geurteilt, was vom Obersten Gerichtshof zu 6 Ob 13/22p bestätigt wurde:

Einberufung durch Rechtsanwalt – Selbsthilferecht

Gemäß § 36 Abs 1 GmbHG ist die Generalversammlung durch die Geschäftsführer einzuberufen, es sei denn, nach dem Gesellschaftsvertrag wären auch andere Per­sonen dazu befugt. Im konkreten Fall hatte keiner der Gesellschaftsverträge der drei GmbHs eine von § 36 Abs 1 GmbHG abweichende Regelung.

Das bedeutet, dass dem Einberufungsverlangen der Mehrheitsgesellschafterin nur dann wirksam entsprochen worden wäre, wenn die Geschäftsführer die Generalversammlungen einberufen hätten. Dies ist aber nicht geschehen, da der einberufende Rechtsanwalt die Einberufungen nicht im Namen der Geschäftsführer verfasste. Vielmehr trat der Rechtsanwalt nach dem klaren Wortlaut seiner Einberufungsschreiben als Vertreter der GmbHs auf, nicht jedoch als Vertreter der Geschäftsführer.

Somit machte die Mehrheitsgesellschafterin zu Recht von ihrem Selbsthil­ferecht Gebrauch.

Corona

Dienstleistungen im Zusammen­hang mit der Rechtspflege waren von den Corona-Maßnahmen ausgenommen, sodass Rechtsan­wälte und Notare ihre Tätigkeit ausüben dur­ften.

Darüber hinaus wurde im gesellschaftsrechtli­chen Covid-19-Gesetz die Möglichkeit eingeräumt, Generalver­sammlungen auch ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer durchzuführen. Auf Grund des Gesetzeswortlautes ist abzuleiten (Argument: „auch), dass der Gesetzgeber neben der bis­her einzig möglichen Form von Präsenz-Generalver­sammlungen auch virtuelle Generalversammlungen einführte. Die Möglichkeit, Generalversammlungen mit physi­scher Anwesenheit stattfinden zu lassen, wurde dadurch nicht eingeschränkt. Die Covid-19-Maßnahmen-Verordnung hätte daher von einem pflichtbewussten und sorgfältig agierenden Gesellschafter so ausgelegt werden müssen, dass eine Teilnahme an Generalversammlungen erlaubt war.

Abberaumung der Generalversamm­lungen

Zulässig war die Abberaumung der drei Generalversamm­lungen durch den Rechtsanwalt der GmbHs. Allerdings konnte er nur „seine“ Generalversammlungen abberaumen, nicht dagegen jene drei, die von der Mehrheitsgesellschafterin einberufen wurden.

Das bedeutet, dass die Einberufungen durch die Mehrheitsgesellschafterin rechtswirksam aufrecht waren.

Von der Minderheitsgesellschafterin wäre zu erwarten gewesen, dass sie bei der Mehrheitsgesellschafterin nachfragt, ob „deren“ Generalversammlungen abgehalten würden. Die Minderheitsgesellschafterin durfte somit nicht automatisch von einem Entfall der Generalversammlungen ausgehen, so wie auch die unbeteiligte dritte Gesellschafterin zu den Generalversammlungen kam – wenn auch zu spät.

Stiegenhaus

Der Hinweis vom Rechtsanwalt der GmbHs, dass seine Kanzleiräume unter Hinweis auf Covid-19 kein Versammlungsort seien, war nicht relevant, weil in den Einberufungsschreiben der Mehrheitsgesellschafterin die Kanzlei nur in Klam­mer angeführt war, jedoch als Versammlungsort die Straße mit der Hausnummer und der Bezirk genannt war.

Beim Stiegenhaus handelt es sich nicht um einen öffentlichen Ort. Darin Generalversammlungen abzuhalten, stellt keine relevante Abweichung von den Einberufungen dar, weil die Kanzleitüre verschlossen war und niemand unbemerkt an den pünktlich zu den Generalversammlungen Kommenden hätte vorbei in die Kanzlei gelangen können.

Fazite

1. Geschäftsführer müssen Generalversammlungen selbst einberufen, oder ihr Rechtsanwalt muss sich ausdrücklich auf eine Vollmacht der Geschäftsführer berufen, wenn er für diese Generalversammlungen einberuft. Eine Berufung auf die Vollmacht der Gesellschaft reicht nicht.

2. Eine Generalversammlung abberaumen beziehungsweise verlegen darf nur jener, der sie einberufen hat.

3. Es lohnt sich, Generalversammlungen stets aufzusuchen, auch wenn man überzeugt ist, dass sie aus welchen Gründen auch immer nicht wirksam einberufen oder wirksam abberaumt worden wären. 

4. Wenn sichergestellt ist, dass Gesellschafter beziehungsweise Geschäftsführer einer GmbH an Generalversammlungen teilnehmen können, wenn sie zu jener Adresse kommen, die im Einberufungsschreiben angeführt ist, kann der Versammlungsort auch außerhalb eines klassischen Büros sein – zum Beispiel in einem Stiegenhaus.

Vgl. auch 6 Ob 95/22x.

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