Schon wieder dm! Krönender Abschluss, oder kommt noch was?

Schon wieder dm! Krönender Abschluss, oder kommt noch was?

Treuepflicht kann dazu führen, dass ein Gesellschaftsvertrag geändert werden muss – in diesem Fall muss die Mehrheitsgesellschafterin zustimmen, dass im Gesellschaftsvertrag einer GmbH zu Gunsten der Minderheitsgesellschafterin ein Entsendungsrecht für ein Aufsichtsratsmitglied verankert wird. Allerdings ein Pyrrhussieg!

Vorgeschichte

Anfang der 1980er Jahre unterzeichneten die Vertreter des österreichischen Spar-Konzerns sowie jene des deutschen dm-Konzerns eine Grundsatzvereinbarung, wonach eine gemeinsame (österreichische) dm-GmbH, die den österreichischen Markt erobern sollte, einen Aufsichtsrat mit vier Kapitalvertretern haben sollte, wovon zwei vom deutschen dm-Konzern und einer vom Spar-Konzern entsendet werden sollten. Der vierte Kapitalvertreter sollte gemeinsam bestellt werden.

Diese Grundsatzvereinbarung wurde teilweise im Gesellschaftsvertrag der gemeinsamen dm-GmbH sowie teilweise mit einem Syndikatsvertrag umgesetzt, und zwar

  • wurden die Entsendungsrechte im Gesellschaftsvertrag geregelt,
  • die Pflicht, den vierten Kapitalvertreter gemeinsam zu bestellen, dagegen im Syndikatsvertrag (Bestellung im „Einvernehmen“).

Gesellschafter der gemeinsamen dm-GmbH wurden

  • die zum Spar-Konzern gehörende P-GmbH mit 32 %
  • und die ebenfalls österreichische dm-Verwaltungsgesellschaft mit 68%, die mehrheitlich im indirekten Eigentum des deutschen dm-Konzerns steht.

Vertragspartner des Syndikatsvertrages wurden ebenfalls P-GmbH und dm-Verwaltungsgesellschaft.

2004 übertrug die zum Spar-Konzern gehörende P-GmbH ihre 32%-Beteiligung an der dm-GmbH konzernintern an B-GmbH (1. Übertragung). Nach nur wenigen Monaten übertrug B-GmbH diese 32%-Beteiligung weiter an die schweizer AM-AG, die ebenfalls zum österreichischen Spar-Konzern gehört (2. Übertragung). Dies alles erfolgte aus steuerrechtlichen sowie unternehmenspolitischen Gründen.

Der deutsche dm-Konzern hat „seine“ 68%-Beteiligung an der dm-Gmbh bis heute unverändert in der dm-Verwaltungsgesellschaft belassen.

Im Lauf der Jahre wurden immer wieder Aufsichtsratsmitglieder (Kapitalvertreter) entsandt beziehungsweise gewählt. Dabei gingen alle Beteiligten – auch dm-Verwaltungsgesellschaft – davon aus, dass

  • das Entsendungsrecht der P-GmbH zunächst auf B-GmbH (1. Übertragung) und schließlich auf AM-AG übergegangen sei (2. Übertragung)
  • und das vierte Aufsichtsratsmitglied (Kapitalvertreter) einstimmig zu wählen sei.

Sachverhalt

2017 brach ein Gesellschafterstreit zwischen der an der österreichischen dm-GmbH mit 32% beteiligten AM-AG (Spar-Konzern) und der mit 68% beteiligten dm-Verwaltungsgesellschaft (deutscher dm-Konzern) aus. Im Zuge dieses Gesellschafterstreites hat dm-Verwaltungsgesellschaft (in der Folge nur mehr Mehrheitsgesellschafterin) unter anderem

  • behauptet, der Syndikatsvertrag beziehungsweise das Entsendungsrecht sei von P-GmbH (über B-GmbH) auf AM-AG nicht übergegangen,
  • den Syndikatsvertrag vorsorglich aus wichtigem Grund fristlos gekündigt, ohne deswegen bei Gericht eine Klage einzubringen,
  • diesen Syndikatsvertrag wiederum vorsorglich auch ordentlich zum 30.9.2022 gekündigt,
  • das von AM-AG (in der Folge „Minderheitsgesellschafterin“) entsandte Aufsichtsratsmitglied abberufen
  • und zwei ihr genehme Aufsichtsratsmitglieder gegen den Willen der Minderheitsgesellschafterin bestellt. Bei diesen zwei Aufsichtsratsmitgliedern handelte es sich um (1) einen Ersatz für das ursprünglich von der Minderheitsgesellschafterin entsandte, von der Mehrheitsgesellschafterin jedoch abberufene Aufsichtsratsmitglied und (2) um das „vierte“ Aufsichtsratsmitglied, welches gemäß Grundsatzvereinbarung gemeinsam bestellt werden sollte.

Dieser Gesellschafterstreit hat bereits unzählige Gerichtsverfahren zum OGH gebracht (6 Ob 1/19v, 3 Ob 135/19b, 6 Ob 149/19h, 6 Ob 140/20m, 6 Ob 155/20t, 6 Ob 213/21y). Über die Abberufung des von der Minderheitsgesellschafterin entsandten Aufsichtsratsmitgliedes hat der OGH in 6 Ob 155/20t entschieden (vierter und vorletzter bullet point), über die Bestellung der zwei der Mehrheitsgesellschafterin genehmen Aufsichtsratsmitglieder in 6 Ob 140/20m (fünfter und letzter bullet point).

In dem nun aktuellen Streit (6 Ob 192/21k) hatten das OLG Linz und der OGH die Existenz oder Nicht-Existenz des Syndikatsvertrages zu beurteilen beziehungsweise, ob er wirksam gekündigt wurde und falls ja, außerordentlich (fristlos) aus wichtigem Grund oder ordentlich zum 30.9.2022. Außerdem ging es um Schadenersatz, die Wahl des vierten Aufsichtsratsmitgliedes und Änderung des Gesellschaftsvertrages. Dies alles zu klären, wurde notwendig, weil die Minderheitsgesellschafterin die Mehrheitsgesellschafterin klagte und begehrte

1. die Feststellung, dass der Syndikatsvertrag ungekündigt aufrecht bestehe, hilfsweise die Feststellung, dass er bis zum 30.9.2022 aufrecht bestehe,
2. die Feststellung der Haftung der Mehrheitsgesellschafterin für Schäden aus der Verletzung des Syndikatsvertrages.
3. der Mehrheitsgesellschafterin zu verbieten, ein Aufsichtsratsmitglied zu wählen, ohne vorher das Einvernehmen mit der Minderheitsgesellschafterin herzustellen,
4. die Mehrheitsgesellschafterin zu verpflichten, für eine Änderung des Gesellschaftsvertrages zu stimmen, sodass
4.1 der Minderheitsgesellschafterin ein Entsendungsrecht zukommt,
4.2 das vierte Aufsichtsratsmitglied (Kapitalvertreter) einstimmig zu wählen ist
4.3 und bei der übernommenen Stammeinlage statt P-GmbH die jetzige Minderheitsgesellschafterin (AM-AG) genannt wird.

Dazu im Einzelnen:

Zu 1.: Syndikatsvertrag ungekündigt aufrecht oder nur bis zum 30.9.2022 aufrecht

Zur Erinnerung: Die Minderheitsgesellschafterin darf nur ein Aufsichtsratsmandat entsenden, die Mehrheitsgesellschafterin dagegen zwei. Um dieses Ungleichgewicht etwas abzufedern, sollte das vierte Aufsichtsratsmitglied einvernehmlich bestellt werden. Diese Pflicht, das vierte Aufsichtsratsmitglied einvernehmlich zu bestellen, wurde NICHT im Gesellschaftsvertrag vereinbart, sondern NUR im Syndikatsvertrag. Deswegen war der Minderheitsgesellschafterin so wichtig, dass

  • der Syndikatsvertrag von der P-GmbH über die B-GmbH auf sie wirksam übergegangen ist
  • und die Kündigung des Syndikatsvertrages durch die Mehrheitsgesellschafterin unwirksam war.

Übergang des Syndikatsvertrages

Zu Gunsten der Minderheitsgesellschafterin bejahte das OLG Linz – gestützt auf 6 Ob 140/20m – den Übergang des Syndikatsvertrages von P-GmbH auf B-GmbH (1. Übertragung) sowie auf die Minderheitsgesellschafterin (2. Übertragung), obwohl er in jenen Verträgen nicht erwähnt wurde, mit denen der 32%-Geschäftsanteil an der österreichischen dm-Gmbh von P-GmbH auf B-GmbH (1. Übertragung) und weiter auf die Minderheitsgesellschafterin übertragen wurde (2. Übertragung). Zuletzt hat die Mehrheitsgesellschafterin nicht mehr bestritten, dass der Syndikatsvertrag von P-GmbH im Wege einer Gesamtrechtsnachfolge auf B-GmbH übergegangen sei (1. Übertragung), bestritt aber weiter, dass er von der B-GmbH auf die Minderheitsgesellschafterin übergegangen sei (2. Übertragung), weil dies nicht im Wege einer Gesamtrechtsnachfolge erfolgte und die Minderheitsgesellschafterin den Syndikatsvertrag nicht übernommen habe.

Der OGH meint dazu, dass gemäß Syndikatsvertrag die mit ihm eingegangenen Pflichten an Rechtsnachfolger der Syndikatspartien zu überbinden sind. Das gilt nach dem OGH ebenfalls für die Rechte aus dem Syndikatsvertrag, auch wenn diese im Syndikatsvertrag nicht ausdrücklich genannt sind. Außerdem – so der OGH – erfolgten die zwei Übertragungen des 32%-Geschäftsanteil an der österreichischen dm-Gmbh von P-GmbH auf B-GmbH (1. Übertragung) und weiter auf die Minderheitsgesellschafterin (2. Übertragung) bloß innerhalb des Spar-Konzerns und lediglich aus steuerlichen sowie unternehmenspolitischen Überlegungen innerhalb nur weniger Monate, sodass es lebensfremd wäre, anzunehmen, dass der Wille der B-GmbH und der Minderheitsgesellschafterin nicht darauf gerichtet war, alle mit der Ausübung der Gesellschafterstellung verbundenen Rechtspositionen (also auch die Rechte aus dem Syndikatsvertrag) von B-GmbH auf die Minderheitsgesellschafterin zu überbinden. Der OGH ergänzt, dass es nicht schade, dass der Syndikatsvertrag im Übertragungsvertrag zwischen B-GmbH und der Minderheitsgesellschafterin nicht ausdrücklich angeführt ist, weil die Übernahme eines Syndikatsvertrags nach allgemeinen Regeln auch konkludent erfolgen kann (§ 863 ABGB).

Im Übrigen wiederholt der OGH seine Begründungen aus den Verfahren 6 Ob 140/20m und 6 Ob 155/20t, auf Grund derer er zum Schluss kam, dass auch die Mehrheitsgesellschafterin der Übernahme des Syndikatsvertrages von P-GmbH auf die Minderheitsgesellschafterin konkludent zugestimmt hat. Dazu meint der OGH abschließend, dass es nicht auf die Absicht der Mehrheitsgesellschafterin ankommt, sondern allein darauf, welchen Eindruck die Minderheitsgesellschafterin gehabt haben musste (5 Ob 219/16s und 8 ObA 78/20h).

Kündigung aus wichtigem Grund (fristlos)

Der OGH qualifizierte das verfahrensgegenständliche Syndikat als GesbR und sprach aus, dass eine Auflösung aus wichtigem Grund gemäß § 1210 Abs 1 ABGB eine Rechtsgestaltungsklage voraussetzt (Auflösungsklage). Eine solche wurde von der Mehrheitsgesellschafterin nicht eingebracht.

Der OGH ergänzt, dass eine solche Rechtsgestaltungsklage entbehrlich ist, wenn

  • entweder im Syndikatsvertrag eine andere außergerichtliche Auflösungserklärung vorgesehen ist, weil § 1210 Abs 1 ABGB bloß dispositiv ist,
  • oder, wenn die anderen Vertragspartner der GesbR mit der Auflösung aus wichtigem Grund einverstanden sind.

Weder das eine, noch das andere war der Fall, sodass der Syndikatsvertrag durch die Mehrheitsgesellschafterin nicht aus wichtigem Grund (fristlos) gekündigt wurde.

Ordentliche Kündigung zum 30.9.2022

Unstrittig war, dass der Syndikatsvertrag eine Kündigungsmöglichkeit vorsah. Die Minderheitsgesellschafterin argumentierte aber, die ordentliche Kündigung des Syndikatsvertrags sei treu‑ sowie sittenwidrig und daher gemäß § 879 Abs 1 ABGB unwirksam.

Das OLG Linz vertrat die Ansicht, dass die Kündigung des Syndikatsvertrages nicht sitten- oder treuwidrig gewesen sei, weil die Mehrheits- und die Minderheitsgesellschafterin die Kündigungsmöglichkeit im Syndikatsvertrag vereinbart hätten.

Zur angeblichen Sittenwidrigkeit erinnerte der OGH, dass § 879 Abs 1 ABGB nicht nur für Verträge, sondern auch für einseitige Rechtsgeschäfte wie Kündigungen gilt (4 Ob 39/16p). Eine Rechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen die guten Sitten ist aber nur zu bejahen, wenn eine Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen ergibt. Eine Interessenabwägung ist aber nach dem OLG Linz und dem OGH im konkreten Fall nicht erforderlich, weil sowohl die Mehrheits- als auch die Minderheitsgesellschafterin ein Recht haben, den Syndikatsvertrag zu kündigen.

Zur angeblichen Treuewidrigkeit bestätigte der OGH, dass der Syndikatsvertrag die gesellschaftsvertraglichen Treuepflichten konkretisiert. In unserem Fall, dass der Minderheitsgesellschafterin über den Aufsichtsrat eine wesentlich weiter gehende Einflussmöglichkeit zugewiesen wurde, als es ihrer Beteiligungsquote entspricht. Allerdings wurde in 6 Ob 140/20m darauf hingewiesen, dass es in Folge der Beendigung des Syndikatsvertrags zu einer Änderung des Inhalts der Treuepflichten kommen könne, was ausdrücklich offengelassen wurde. Das OLG Linz hat nun vertreten, dass die Vereinbarung einer einseitigen Kündigungsmöglichkeit den Inhalt der Treuepflichten mitprägt, nämlich so, dass sowohl die Mehrheits- als auch die Minderheitsgesellschafterin diese Kündigungsmöglichkeit für die Zukunft bedenken konnten und in Kauf nahmen. Das OLG Linz setzte fort, dass auf die langjährige Nicht-Ausübung des Kündigungsrechts kein Vertrauen gebaut werden kann und daher die Kündigung des Syndikatsvertrages nicht treuwidrig gewesen sei. Dies alles hat der OGH bestätigt und dem Argument der Minderheitsgesellschafterin, der OGH hätte in 6 Ob 140/20m und 6 Ob 155/20t eine Treuewidrigkeit der Mehrheitsgesellschafterin festgestellt, entgegengehalten, dass diesen Entscheidungen nicht entnommen werden kann, dass die Mehrheitsgesellschafterin auf ihr Kündigungsrecht verzichtet hätte.

Der Syndikatsvertrag wurde daher von den Minderheitsgesellschaftern zum 30.9.2022 wirksam (ordentlich) gekündigt.

Zu 2.: Haftung für Schäden aus der Verletzung des Syndikatsvertrages

Die Minderheitsgesellschafterin bringt drei Gründe vor, weswegen ihr Schäden aus der Verletzung des Syndikatsvertrages drohen könnten:

  • Erstens im Zusammenhang mit der zukünftigen Feststellung des Jahresabschlusses sowie der ebenfalls zukünftigen Beschlussfassung über die Gewinnausschüttung. Das erachtet der OGH für zu wenig konkret und nicht im Zusammenhang mit dem Syndikatsvertrag. Offensichtlich meint er, dass Jahresabschluss-Feststellung und Gewinnausschüttung nicht zum Syndikatsvertrag ressortieren, sondern zum Gesellschaftsvertrag.
  • Zweitens wegen der Bestellung der zwei der Mehrheitsgesellschafterin genehmen Aufsichtsratsmitglieder. Dazu urteilt der OGH, dass die Minderheitsgesellschafterin keine Nachteile vorgetragen hat, die mit 6 Ob 140/20m nicht schon beseitigt sind.
  • Drittens wegen der Kündigung des Syndikatsvertrages. Dies schmettert der OGH mit den Argumenten ab, dass die von der Beklagten erklärte Kündigung aus wichtigem Grund keine Rechtswirkungen entfaltete und die ordentliche Kündigung nicht rechtswidrig war.

Die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichtes wurde zu diesem Punkt daher wieder hergestellt.

Zu 3.: Verbot, ein Aufsichtsratsmitglied ohne Minderheitsgesellschafterin zu wählen

Im Hinblick darauf, dass der Syndikatsvertrag auf die Minderheitsgesellschafterin übergegangen ist, besteht grundsätzlich die Pflicht, das vierte Aufsichtsratsmitglied einvernehmlich zu bestellen. Allerdings nur bis 30.9.2022, weil an diesem Tag um 24:00 Uhr der Syndikatsvertrag Geschichte sein wird, weil er von der Mehrheitsgesellschafterin ordentlich gekündigt wurde. Der OGH bestätigt daher das vom OLG Linz bis zum 30.9.2022 befristete Verbot für die Mehrheitsgesellschafterin, kein Aufsichtsratsmitglied zu wählen, ohne vorher das Einvernehmen mit der Minderheitsgesellschafterin herzustellen.

Abzuwarten bleibt, ob bis zum 30.9.2022 ein „viertes“ Aufsichtsratsmitglied gewählt wird, falls ja, für wie lange? Denn nach dem Gesellschaftsvertrag der österreichischen dm-Gmbh werden Aufsichtsratsmitglieder längstens für vier Jahre gewählt. Eine kürzere Funktionsdauer wäre daher zulässig. Die Mehrheitsgesellschafterin könnte daher mit der Minderheitsgesellschafterin das Einvernehmen über die Person des „vierten“ Aufsichtsratsmitglied herstellen, diese aber nur für wenige Monate bestellen, sodass kurz nach dem 30.9.2022 eine weitere Wahl erforderlich wird, bei der die Mehrheitsgesellschafterin kein Einvernehmen mehr mit der Minderheitsgesellschafterin herstellen muss. Ob die Minderheitsgesellschafterin das wieder zum OGH bringen wird?

Zu 4.1: Änderung des Gesellschaftsvertrages (Entsendungsrecht für Minderheitsgesellschafterin)

Bereits zu 6 Ob 155/20t hat der OGH klargestellt, dass das Entsendungsrecht der P-GmbH spätestens mit der Übertragung der 32%-Beteiligung an der dm-GmbH an die Minderheitsgesellschafterin im Weg der Einzelrechtsnachfolge (2. Übertragung) erloschen ist, weil es sich beim konkreten Entsendungsrecht um ein höchstpersönliches und somit unübertragbares Recht der P-GmbH handelte. Es war daher jetzt zu 6 Ob 192/21k nur mehr zu beurteilen, ob die Mehrheitsgesellschafterin aus ihrer Treuepflicht einer Satzungsänderung zuzustimmen hat, mit welcher der Minderheitsgesellschafterin ein solches, ihr bislang nicht zukommendes Entsendungsrecht eingeräumt wird.

Zunächst wiederholt der OGH seine wesentlichen Aussagen aus 6 Ob 155/20t, nämlich dass

  • Treuepflichten im Gesellschaftsrecht allgemein und insbesondere auch bei der GmbH in ständiger Rechtsprechung anerkannt sind (6 Ob 90/19g),
  • Treuepflichten sich mit dem Grad der personalistischen Ausgestaltung einer Gesellschaft steigern (2 Ob 46/97x), zum Beispiel wenn es nur zwei Gesellschafter und einen Syndikatsvertrag gibt,
  • dem konkreten Entsendungsrecht der P-GmbH eine zentrale Bedeutung zu kam,
  • nach dem – zunächst Niemandem bewussten – Erlöschen des Entsendungsrechts der P-GmbH im Jahr 2004 sowohl die Mehrheits- als auch die Minderheitsgesellschafterin durch 13 Jahre zu erkennen gegeben haben, von einem Entsendungsrecht der Minderheitsgesellschafterin auszugehen,
  • und die Mehrheitsgesellschafterin durch diese lange Übung einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, das – tatsächlich nicht bestehende – Entsendungsrecht der Minderheitsgesellschafterin anzuerkennen.

Danach gesteht der OGH zu, dass es noch keine OGH-Entscheidung über die Verpflichtung eines GmbH-Gesellschafters gebe, einer dem vorliegenden Fall vergleichbaren Satzungsänderung zuzustimmen, dass aber aus der Treuepflicht eine solche Verpflichtung folgen könne (6 Ob 695/87 und 6 Ob 166/05p). In der Folge setzt der OGH sich mit der österreichischen Literatur auseinander und kommt zum Schluss, dass eine Pflicht zur Satzungsänderung

  • ultima ratio,
  • im Gesellschaftsinteresse dringend geboten
  • und den Gesellschaftern zumutbar,

sein müsse. Im vorliegenden Fall bejaht der OGH alle drei Punkte: Er meint, dem Vertrauen der Minderheitsgesellschafterin kann nicht anders als durch die Verankerung des Entsendungsrechts im Gesellschaftsvertrag Rechnung getragen werden (ultima ratio), Treuepflichten bestehen nicht nur zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft, sondern auch zwischen den Gesellschaftern untereinander, sodass ihr (der Treuepflicht) nicht entgegengehalten werden darf, dass die Gesellschaft kein Interesse an einer Satzungsänderung habe (Gesellschaftsinteresse), und der Minderheitsgesellschafterin eine Satzungsänderung zumutbar ist, weil der Minderheitsgesellschafterin 13 Jahre ein Entsendungsrecht faktisch zukam.

Aus diesen Gründen verpflichtet der OGH die Mehrheitsgesellschafterin, in einer außerordentlichen Generalversammlung zuzustimmen, dass der Gesellschaftsvertrag so zu ändern ist, dass der Minderheitsgesellschafterin ein Entsendungsrecht für ein Aufsichtsratsmitglied zukommt.

Der OGH geht hier also noch einen Schritt weiter, als in seiner Entscheidung 6 Ob 155/20t. Dass das Gericht einen Beschluss wegen Verletzung der Treuepflicht für unwirksam erklärt, stellt in der Praxis schon eher eine Ausnahme dar. Der nun weitere Schritt des OGH, aufgrund der Treuepflicht sogar eine Satzungsänderung vornehmen zu müssen, ist unserer Ansicht nach überraschend. Der OGH betont aber, dass es eine Ausnahme ist, aus der Treuepflicht heraus verpflichtet zu sein, die Satzung anzupassen. Wie weit diese Entscheidung in diesem Punkt auch auf andere Fälle angewendete werden kann, ist daher fraglich.

Zu 4.2: Änderung des Gesellschaftsvertrages (vierte Aufsichtsratsmitglied einstimmig zu wählen)

Nochmals zur Erinnerung: Die Pflicht, das vierte Aufsichtsratsmitglied einvernehmlich zu bestellen, wurde (anders als das Entsendungsrecht) NICHT im Gesellschaftsvertrag vereinbart, sondern NUR im Syndikatsvertrag. Deswegen sahen weder das OLG Linz noch der OGH eine Treuepflicht der Mehrheitsgesellschafterin, zuzustimmen, dass der Gesellschaftsvertrag so zu ändern wäre, dass die Wahl des vierten Aufsichtsratsmitglieds einvernehmlich zu erfolgen habe.

Der Vertrauenstatbestand, 13 Jahre das vierte Aufsichtsratsmitglied einvernehmlich zu wählen, reichte alleine nicht, weil die Mehrheits- sowie Minderheitsgesellschafterin die Kündbarkeit des Syndikatsvertrages vereinbarten und damit auch die Kündbarkeit der Regelung, das vierte Aufsichtsratsmitglied einvernehmlich zu bestellen. (Das war anders beim Entsendungsrecht im Gesellschaftsvertrag.)

Zu 4.3: Änderung des Gesellschaftsvertrages (Stammeinlage der Minderheitsgesellschafterin statt P-GmbH)

Nach § 4 Abs 1 Z 4 GmbHG muss der Gesellschaftsvertrag den Betrag der von jedem Gesellschafter auf das Stammkapital zu leistenden Einlage bestimmen. Diese Bestimmung zielt auf den bei der Errichtung der Gesellschaft abzuschließenden Gesellschaftsvertrag ab. Ist die Stammeinlage von allen Gesellschaftern eingezahlt worden, verliert die Aufzählung der ursprünglichen Gesellschafter und die Höhe der von ihnen seinerzeit zu leistenden Stammeinlagen ihre Bedeutung (3 Ob 402/58).

Die Stammeinlage für die 32%-Beteiligung an der österreichischen dm-GmbH wurde von P-GmbH übernommen. Die Minderheitsgesellschafterin hat keine Stammeinlage übernommen, weswegen sie nicht als Übernehmerin einer Stammeinlage im Gesellschaftsvertrag anzuführen ist.

Pyrrhussieg

Zusammengefasst hat die Minderheitsgesellschafterin zwar „gewonnen“, dass für sie ein Entsendungsrecht für ein Aufsichtsratsmitglied in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen wird und – aber bloß bis zum 30.9.2022 – das vierte Aufsichtsratsmitglied nur im Einvernehmen gewählt werden darf. Ab dem 1.10.2022 darf die Mehrheitsgesellschafterin das vierte Aufsichtsratsmitglied alleine bestimmen. Unter Berücksichtigung des weiter bestehenden Entsendungsrechtes der Mehrheitsgesellschafterin für zwei Aufsichtsratsmitglieder „steht“ es ab 1.10.2022 im Aufsichtsrat drei zu eins für die Mehrheitsgesellschafterin.

Für Juristen

1. Das OLG Linz ließ die Revisionen zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Zustimmungspflicht eines Gesellschafters zu einer Änderung des Gesellschaftsvertrags bestand. Deswegen erachtete der OGH die Revision der Mehrheitsgesellschafterin für zulässig und teilweise auch für berechtigt, wies aber die Revision der Minderheitsgesellschafterin zurück.

2. Das OLG Linz ließ offen, ob die Mehrheitsgesellschafterin, die in den Verfahren 6 Ob 140/20m und 6 Ob 155/20t bloß Nebenintervenientin war, an die dort getroffenen Feststellungen gebunden war. Der OGH vertat die Ansicht, dass der zu 6 Ob 192/21k festgestellte Sachverhalt sich von den in den Verfahren 6 Ob 140/20m und 6 Ob 155/20t festgestellten Sachverhalten nicht unterscheidet, sodass es auf eine allfällige Bindung nicht ankommt.

3. Sollen Sonderrechte eines Gesellschafters (wie zum Beispiel ein Entsendungsrecht) übertragbar sein, dürfen sie nicht als höchstpersönliche Rechte eines Gesellschafters ausgestaltet sein, sondern müssen an den Geschäftsanteil gekoppelt werden.

4. Ich frage mich oft, wieso so vieles in Syndikatsverträgen geregelt wird? Was hätte dagegengesprochen, die Pflicht, das vierte Aufsichtsratsmitglied einvernehmlich zu bestellen, im Gesellschaftsvertrag zu verankern? Wäre das geschehen, hätte die Minderheitsgesellschafterin wahrscheinlich auch dieses Recht retten können.

5. Ganz wichtig für Vertragserrichter ist, bei Umgründungen jeder Art

  • in die Verträge alle Rechte sowie Pflichten ausdrücklich aufzunehmen, die übertragen werden sollen, auch jene, die in Syndikatsverträgen oder sonst wo vereinbart sind,
  • und vorab die schriftliche Zustimmung zur Übertragung solcher Rechte und Pflichten von jenen einzuholen, gegenüber denen sie bestehen.

Ganz besonders wichtig ist dies bei Umgründungen ohne Gesamtrechtsnachfolge!

Wäre dies bei den zwei Übertragungen der 32%-Beteiligung von P-GmbH an B-GmbH und von dieser an die Minderheitsgesellschafterin gemacht worden, würde die Minderheitsgesellschafterin sich viel Ärger erspart haben.

6. Wer Rechte auf Dauer haben will, muss jene Verträge, mit denen sie eingeräumt werden, unkündbar machen, soweit dies zulässig ist.

Wäre der Syndikatsvertrag unkündbar, hätte die Mehrheitsgesellschafterin ihn und damit die Pflicht, das vierte Aufsichtsratsmitglied einvernehmlich zu bestellen, nicht kündigen können.

7. Interessant ist, dass in die Überlegungen des OGHs über die Pflicht, das vierte Aufsichtsratsmitglied einvernehmlich zu bestellen, auch eingeflossen ist, dass diese Pflicht schon im ersten Paragraphen des Syndikatsvertrages verankert wurde. Es ist von Vertragserrichtern daher stets zu überlegen, welche Bestimmungen sie an den Beginn ihrer Verträge stellen, oder sie nehmen in ihre Verträge in etwa folgende Bestimmung auf: „Die in diesem Vertrag vorgenommene Reihung der einzelnen Bestimmungen sind bei dessen Auslegung nicht zu berücksichtigen.

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