Erpressungsversuch: Verlust der Begünstigtenstellung in der Privatstiftung

Erpressungsversuch: Verlust der Begünstigtenstellung in der Privatstiftung

Der Stifterwille ist durch Auslegung der Stiftungserklärung zu ermitteln, wobei die für Satzungen juristischer Personen entwickelten Auslegungskriterien anzuwenden sind. Dies hat zur Folge, dass diese Regelungen anders als Verträge nach Wortlaut und Zweck in ihrem systematischen Zusammenhang objektiv auszulegen sind, und zwar unter Anwendung der Auslegungsgrundsätze der §§ 6 f ABGB. Sollte in einer Stiftungsurkunde festgelegt sein, dass ein Begünstigter seine Rechte aus der Begünstigtenstellung verliert, wenn er einen Erbunwürdigkeitsgrund setzt, reicht es aus, dass er versucht, einen Mitstifter zu erpressen.

Sachverhalt

Die Beklagte und ihre drei Geschwister sind Stifter und seit dem Tod des gemeinsamen Vaters auch Begünstigte einer Privatstiftung, die Geschäftsanteile an vom verstorbenen Vater aufgebauten Unternehmen hält. Zwischen 2009 und 2017 erhielten die Geschwister jeweils ungefähr 15 Mio. Euro an Zuwendungen von der Stiftung.

Ab 2014 kam es zwischen der Beklagten und ihrem älteren Bruder, der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist, deren Anteile von der Stiftung gehalten werden, zu Unstimmigkeiten über dessen Geschäftsführung. Die Beklagte äußerte unbelegte Vorwürfe, dass die Gesellschaft Grundstücke unter Wert veräußert habe und ihr Bruder über Strohmänner darin involviert gewesen sei.

Im September 2017 schickte die Beklagte ihrem Bruder insgesamt 18 E-Mails, in denen sie behauptete, Beweise für seine Malversationen zu haben. Sie drohte ihm immer wieder mit Anzeigen, sollte er ihr nicht 28 Mio. Euro zahlen (18 Mio. für ihren Verzicht auf die Begünstigtenstellung, 10 Mio. als „Wiedergutmachung“). Sie informierte auch den Stiftungsvorstand über ihre Forderung von 18 Mio. Euro für den Verzicht auf die Begünstigtenstellung.

Der mit Vorwürfen konfrontierte Bruder, der sich in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht sah, leitete die E-Mails an die anderen Geschwister, die Stiftungsorgane sowie den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft weiter. Die Beklagte legte trotz Aufforderung durch den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft die angekündigten Beweise nicht vor, woraufhin der Stiftungsvorstand weitere Auszahlungen an sie unter Bezug auf § 2 Abs 6 der im Jahr 2006 neu gefassten Stiftungszusatzurkunde stoppte. Danach hat eine Zuwendung zu unterbleiben, wenn sich ein Begünstigter „eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das eine Erbunwürdigkeit (§§ 540 ff ABGB) oder einen Enterbungsgrund (§§ 768 ff ABGB) gegenüber den Stiftern oder einer Person darstellt, von der er die Begünstigtenstellung ableitet“. (Zu beachten ist, dass die §§ 540 und 768 ABGB im Jahr 2017 geändert wurden, was im Jahr 2006, als die Stiftungszusatzurkunde neu gefasst wurde, nicht vorhersehbar war. Daher stellte sich im Gerichtsverfahren die Frage, ob von einer statischen oder einer dynamischen Verweisung auszugehen ist. Bei einer statischen Verweisung würde die Fassung der Paragraphen von 2006 gelten, bei einer dynamischen Verweisung die aktuelle Fassung von 2017.)

Die klagende Privatstiftung begehrt die Feststellung, dass die Beklagte ihre Begünstigtenrechte verloren habe, da sie durch den Versuch einer Erpressung gemäß § 144 StGB den Tatbestand der Erbunwürdigkeit im Sinne der Stiftungzusatzsurkunde verwirklicht habe. Die Verknüpfung von Forderungen mit der Drohung einer Strafanzeige sei sittenwidrig. Das erbunwürdige Verhalten könne gegenüber jedem Stifter begangen werden.

Die Beklagte wendet ein, sie habe sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befunden und bedauere die Versendung der E-Mails. Sie habe Ungereimtheiten zum Nachteil des Familienvermögens vermutet und sich bestohlen gefühlt. Hintergrund der Klage sei ein Geschwisterstreit, nicht ein rechtlich relevantes Verhalten. Die E-Mails würden weder einen Straftatbestand noch eine Erbunwürdigkeit erfüllen. Letztere sei außerdem aufgrund des Zeitpunktes der Neufassung der Stiftungsurkunde im Jahr 2006 nach der damals gültigen Rechtslage zu beurteilen. Danach könne eine Erbunwürdigkeit, im Gegensatz zur der heute gültigen Fassung (mittlerweile in § 539 StGB) nur durch Handlungen in direkt aufsteigender Linie, also gegen den Erblasser selbst, nicht jedoch gegen die Verlassenschaft, also ihre Geschwister begründet werden. Die Begünstigtenstellung gehe nach Ansicht der Beklagten aber selbst bei Vorliegen einer Erbunwürdigkeit nicht verloren, sondern in diesem Fall hätten bloß Zuwendungen zu unterbleiben.

Entscheidung der ersten Instanz

Das Erstgericht gab der Klage statt. Nach § 2 Abs 6 der Stiftungszusatzurkunde hätten Zuwendungen an Begünstigte zu unterbleiben, die eine Erbunwürdigkeit gegenüber den Stiftern zu verantworten haben, was nach dem Wortlaut der Klausel auch Handlungen gegen Mitstifter umfasse (nicht nur gegen die Eltern, also nicht nur in direkt aufsteigender Linie). Die Drohung der Beklagten, Strafanzeigen und Klagen einzubringen, wenn ihr Bruder ihr nicht 10 Mio. Euro „schenke“, sei sittenwidrig und habe bei ihrem Bruder die begründete Besorgnis einer Zerstörung seiner wirtschaftlichen Existenz erweckt. Die Beklagte habe mit dem Vorsatz gehandelt, sich unrechtmäßig zu bereichern.

Entscheidung der zweiten Instanz

Das Berufungsgericht drehte die Entscheidung der ersten Instanz und wies die Klage ab. Die behaupteten Malversationen beruhten nur auf Vermutungen der Beklagten, die sich nicht erhärten ließen. Für ihren Bruder sei bei objektiver Betrachtung klar erkennbar gewesen, dass die Korrespondenz von einer kurzzeitigen geradezu krankhaften, an Absurdität grenzenden Übertreibung geprägt war und den Ankündigungen ein ernsthafter Charakter fehlte. Ein strafrechtlicher Tatbestand, aus dem eine Erbunwürdigkeit abgeleitet werden könnte, sei nach einem objektiv-individuellen Maßstab nicht gegeben, denn die Eignung der Drohung, begründete Besorgnis einzuflößen, sei „objektiv nicht begründet“.

Entscheidung des OGH

Der OGH setzte die Abfolge entgegengesetzter Entscheidungen fort, indem er die Entscheidung des Berufungsgerichts aufhob und die ursprüngliche Entscheidung des Erstgerichts bestätigte. Zunächst wurde klargestellt, dass der Stifterwille aus der Stiftungserklärung durch Auslegung zu ermitteln ist und dabei die für die Satzungen juristischer Personen entwickelten Auslegungskriterien zur Anwendung kommen (RS0108891). Solche Regelungen sind nicht wie Verträge, sondern gemäß §§ 6 f ABGB nach Wortlaut und Zweck in ihrem systematischen Zusammenhang objektiv auszulegen (vgl RS0108891).

Der Verweis in § 2 Abs 6 der Stiftungszusatzurkunde auf die Erbunwürdigkeit (§§ 540 ff ABGB [Fassung 2006]) bezieht sich, wie von dem Erstgericht angenommen, mangels Anhaltspunkts für eine dynamische Verweisung (das wäre eine Verweisung auf die jeweils aktuelle Fassung) auf den Zeitpunkt der letzten Fassung der Stiftungsurkunde im Dezember 2006. Der OGH ging also von einer statischen Verweisung aus. Nach der Rechtslage 2006 wird eine Person als erbunwürdig angesehen, wenn sie während des Lebens des Erblassers eine vorsätzlich begangene strafbare Handlung, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist, zumindest zu begehen versucht.

Durch systematisch objektive Auslegung von § 2 Abs 6 der Stiftungszusatzurkunde zeigt sich, dass schon nach dem Wortlaut nicht nur Handlungen gegenüber den Eltern als Stifter umfasst sind, sondern auch solche gegenüber anderen Stiftern. Nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung ist auch keine konkrete und aktuelle Erbberechtigung zwischen dem Begünstigten und dem Stifter erforderlich. § 2 Abs 6 ist so zu verstehen, dass ein Begünstigter gegenüber jedem Stifter keine Handlung im Sinne des § 540 ABGB (in der Fassung 2006) setzen darf, ohne Zuwendungen zu verlieren.

Im vorliegenden Fall drohte die Beklagte ihrem Bruder mit strafrechtlichen Verfahren, indem sie für ihn nachteilige Tatsachen und Aussagen von angeblichen „Kronzeugen“ offenbarte, um eine unrechtmäßige Bereicherung zu erzielen. Dies stellt eine Drohung im Sinne des § 74 Abs 1 Z 5 StGB dar, die Voraussetzung für den Tatbestand der versuchten Erpressung ist (§§ 15, 144 Abs 1 StGB). Das Berufungsgericht irrte, indem es den Drohungscharakter aufgrund von Übertreibungen und Überhöhungen ausschloss und die mangelnde Drohungsqualität aus objektiven Umständen ableitete. Die Androhung einer grundlosen Strafanzeige ist als Bedrohung mit einer Verletzung an Ehre, Freiheit und Vermögen anzusehen und geeignet, dem Bedrohten begründete Besorgnisse einzuflößen (RS0092362).

Die Beklagte handelte mit dem Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern, da sie wusste, dass sie im Hinblick auf die Stiftungserklärung keinen Anspruch auf Ablöse ihrer Begünstigtenstellung hatte und auch kein Anspruch auf Zahlung von 10 Mio. Euro durch ihren Bruder bestand (vgl 12 Os 65/19d; Eder-Rieder in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 144 Rz 31). Die Drohung zum Zweck einer unrechtmäßigen Bereicherung verstößt jedenfalls gegen die guten Sitten und ist folglich auch nicht von der Ausnahme des § 144 Abs 2 StGB umfasst, wonach die Drohung nicht rechtswidrig ist, wenn sie „als Mittel zu dem angestrebten Zweck nicht den guten Sitten widerstreitet“ (RS0131920).

Das Erstgericht erkannte zutreffend, dass die Beklagte als Stiftungsbegünstigte eine gerichtlich strafbare Handlung beging, nämlich die versuchte Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB zum Nachteil ihres Bruders. Dieser Umstand macht die Beklagte erbunwürdig im Sinne des § 540 ABGB (in der Fassung 2006), da keine Verzeihung des Opfers vorliegt.

Nach § 2 Abs 6 der Stiftungszusatzurkunde haben folglich Zuwendungen der Stiftung an die Beklagte als Begünstigte zu unterbleiben. Bei systematisch-objektiver Auslegung der Stiftungsurkunden ergibt sich, dass die Beklagte die Rechte aus ihrer Stellung als Begünstigte verloren hat. Die Zuwendungsanteile der Beklagten gehen nach § 2 Abs 6 der Stiftungszusatzurkunde auf die in die Begünstigtenstellung nachfolgenden Personen im Sinne des § 1 der Stiftungszusatzurkunde über. Daraus folgt, dass der Beklagten auch keine Nebenrechte einer Begünstigten mehr zustehen.

Im Ergebnis hat der OGH das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Die Beklagte erfüllt durch die versuchte Erpressung zum Nachteil ihres Bruders, einem der Stifter, das Kriterium der Erbunwürdigkeit, was nach den Bestimmungen der Stiftungszusatzurkunde zum Verlust sämtlicher Rechte als Begünstigte der Stiftung führt.

Blog-Beitrag gemeinsam erstellt mit Leon Eggenfellner.

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