Streitwertobergrenze und Kaufvertrag vs Werkvertrag

Streitwertobergrenze und Kaufvertrag vs Werkvertrag

Werden Werkvertragsansprüche aus verschiedenen Verträgen mit unterschiedlichen Parteien (Reihenhäuser) gegen den VN geltend gemacht, ist Rechtsschutzdeckung zu gewähren, wenn die Ansprüche pro Werkvertrag die Streitwertobergrenze nicht übersteigen.

Sachverhalt

Die Klägerin hat mit der Beklagten einen Rechtsschutzversicherungsvertrag geschlossen. Darin ist der Betriebs-Rechtsschutz inklusive Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz für den betrieblichen Bereich „Baumeister“ enthalten. Zwischen den Parteien wurde eine Streitwertobergrenze von 14.800 EUR vereinbart.

Neun Kläger brachten im April 2020 eine Klage aus fünf verschiedenen Verträgen gegen die hier klagende Partei ein, die für sie Reihenhäuser errichtet hatte. Sie stützten ihre Forderungen darauf, dass sowohl allgemeine Teile des Gewerkes, als auch die einzelnen Reihenhäuser erhebliche Mängel aufweisen würden. Schlussendlich war die Deckung in Zusammenhang mit noch vier Verträgen strittig.

Relevante Bestimmungen der ARB

Artikel 23 Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz

2. Was ist versichert?

2.1 Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen sowie aus Reparatur- und sonstigen Werkverträgen des Versicherungsnehmers über unbewegliche Sachen.

2.3 Im Betriebsbereich besteht Versicherungsschutz nur unter folgenden Voraussetzungen

2.3.1 soferne und solange die tatsächlichen oder behaupteten Forderungen und Gegenforderungen der Vertragsparteien (Gesamtansprüche) aufgrund desselben Versicherungsfalles im Sinne des Artikel 2 Pkt. 3 die vertraglich vereinbarte Obergrenze unabhängig von Umfang, Form und Zeitpunkt der Geltendmachung nicht übersteigen

Streitwertobergrenze

Rechne man alle Streitwerte der Klagsansprüche aus den fünf Verträgen zusammen, weil es sich um einen Versicherungsfall handle, würde der Versicherungsfall über der Streitwertobergrenze liegen. Handelt es sich hingegen um unterschiedliche Versicherungsfälle, liegen nicht alle Klagsansprüche über der Streitwertobergrenze.

Die vertraglichen Verpflichtungen der Klägerin ergeben sich aus fünf verschiedenen Verträgen (über fünf Objekte) mit unterschiedlichen Parteien. Der jeweils von den Klägern des Anlassprozesses behauptete Pflichtverstoß der klagenden (und dort beklagten) Partei kann immer nur anhand des jeweiligen Schuldverhältnisses beurteilt werden. Dass einzelne behauptete Pflichtverletzungen (wie etwa hinsichtlich des Daches und Carports) sich faktisch auf mehrere Verträge auswirken, führt nicht dazu, dass es sich um einen einheitlichen Versicherungsfall handelt. Es liegt gerade kein einheitlicher Verstoß unter wiederholter Außerachtlassung derselben Pflichtenlage aus einem Vertrag vor, sondern die (wenn auch teilweise gleiche) Pflichtenlage ergibt sich aus den fünf unterschiedlichen Verträgen.

Liegen nun mehrere gänzlich voneinander unabhängige und selbständige Verträge der Klägerin mit Dritten vor, so ist vom Vorliegen mehrerer Versicherungsfälle auszugehen und es ist für jeden einzelnen Vertrag zu ermitteln, ob die Gesamtansprüche aus jedem Vertrag für sich die mit der Beklagten vereinbarte Obergrenze im Sinn des Art 23.2.3.1 ARB 2001 übersteigen oder nicht.

Nach Art 23.2.3.1 ARB 2001 sind aufgrund des ausdrücklichen Bedingungswortlauts und des offenkundigen Zwecks einer an der Anspruchshöhe orientierten Risikobegrenzung alle Forderungen und Gegenforderungen der Vertragspartner aufgrund desselben einheitlichen Versicherungsfalls zu berücksichtigen. Diese Bestimmung statuiert, dass der Umfang, die Form und der Zeitpunkt der Geltendmachung für die Beurteilung der Deckungsvoraussetzungen nicht maßgeblich sind. Durch die Bestimmung soll verhindert werden, dass die Risikobegrenzung durch die Geltendmachung von Teilansprüchen oder auch durch ein zu niedrig beziffertes Feststellungsbegehren unterlaufen wird, oder die Geltendmachung des gesamten Anspruchs einem späteren Zeitpunkt vorbehalten wird, bzw wenn vorerst Gegenforderungen erhoben werden, um die Erfolgsaussichten der Durchsetzung der weiteren Ansprüche nach Beendigung eines Vorverfahrens besser abschätzen können.

Entgegen den Ausführungen der Beklagten gibt es keine Verpflichtung der Klägerin und dort Beklagten, den von den Klägern des Anlassprozesses herangezogenen Streitwert für ihre jeweiligen Feststellungsbegehren zu bemängeln, damit im Falle einer Korrektur des Streitwerts nach oben ein Verlust des Deckungsschutzes eintritt.

Keine Deckung für reine Kaufverträge

Die Klägerin hat mit dem Erstkläger des Anlassprozesses einen Kaufvertrag über eine Liegenschaft samt dem auf diesem Grundstück errichteten Haus inklusive Carport geschlossen. Die Klägerin war Eigentümerin des Grundstücks und im Kaufvertrag ist in Punkt 9. unter dem Titel „Werkvertrag“ festgehalten, dass die Verkäuferin auf dem Grundstück ein Reihenhaus gemäß „einem Werkvertrag errichtet und fertiggestellt [hat]. Der im Werkvertrag vereinbarte Werklohn für den dort ausgewiesenen Leistungsumfang ist bereits im Kaufpreis mitberücksichtigt“. Der Vertrag der Klägerin mit dem Erstkläger des Anlassprozesses ist als Kaufvertrag über eine Liegenschaft samt dem darauf errichteten Haus zu qualifizieren, war dieses doch bereits bei Vertragsabschluss errichtet und fertiggestellt. Soweit in Punkt 9. des Kaufvertrags auf einen „Werkvertrag“ Bezug genommen wird, ist nicht klar, zwischen wem dieser abgeschlossen worden sein soll. Jedenfalls ist der „im Werkvertrag vereinbarte Werklohn für den dort ausgewiesenen [Anm.: und bereits erbrachten] Leistungsumfang“ im Kaufpreis berücksichtigt. Als Kauf einer unbeweglichen Sache liegt damit nach der Risikoumschreibung des Art 23.2.1 ARB 2001 kein Versicherungsschutz vor.

Die Klägerin schloss mit dem Viert- und der Fünftklägerin des Anlassprozesses einen Kaufvertrag über eine Liegenschaft samt dem auf diesem Grundstück errichteten Haus. Sie war als Verkäuferin Eigentümerin der verkauften Liegenschaft. In Punkt 9. („Reihenhaus“) halten die Parteien fest, dass die Verkäuferin ein Reihenhaus errichtet hat. Den Vertragsteilen ist bekannt, dass der in diesem Vertrag ausgewiesene Kaufpreis die Kosten der Errichtung des Reihenhauses bereits beinhaltet. Der von der Klägerin mit dem Viert- und der Fünftklägerin abgeschlossene Vertrag ist ein Kaufvertrag über eine Liegenschaft samt darauf bereits errichtetem Haus und enthält kein werkvertragliches Element, sodass gemäß Art 23.2.1 ARB 2001 kein Versicherungsschutz besteht.

Deckung für Werkvertragsansprüche aus Kauf- und Werkvertrag

Die Klägerin schloss mit dem Sechstkläger und der Siebentklägerin des Anlassverfahrens einen als „Kaufvertrag und Werkvertrag“ bezeichneten Vertrag, in dem sie diesen die Liegenschaft verkauft und sich zur Errichtung eines Reihenhauses verpflichtet. Vereinbarungsgemäß waren im Pauschalpreis einerseits das Grundstück und andererseits die Bauleitung und Baubetreuung sowie zahlreiche einzeln angeführte Bauleistungen enthalten. Voraussetzung für den Deckungsschutz nach Art 23.2.1 ARB 2001 sind Ansprüche aus Reparatur- und sonstigen Werkverträgen des Versicherungsnehmers über unbewegliche Sachen. Die Klägerin hat nachzuweisen, dass die geltend gemachten Ansprüche des Sechstklägers und der Siebentklägerin nicht aus einem Kaufvertrag, sondern aus einem Werkvertrag über unbewegliche Sachen auf deren Grund resultieren.

Deckung für Werkvertrag

Die Klägerin schloss mit dem Acht- und der Neuntklägerin des Anlassverfahrens einen Vertrag, in dem sie sich zur Errichtung eines Reihenhauses auf der im Eigentum des Acht- und Neuntklägers stehenden Liegenschaft verpflichtete. Das vom Acht- und Neuntkläger angestrengte Verfahren gegen die Klägerin, das die Streitwertobergrenze nicht erreicht, ist daher vom Versicherungsschutz umfasst (vgl Art 23.2.1 ARB 2001). Die Beklagte hat dafür Deckungsschutz zu gewähren.

 

zurück