Anzeigeobliegenheit: Meldung durch Dritten

Anzeigeobliegenheit: Meldung durch Dritten

§ 33 Abs 2 VersVG (Anzeige des Versicherungsfalles durch Dritten) verhindert auch dann die Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn die Anzeigeobliegenheit des § 6 Abs 1 KHVG „schlicht“ vorsätzlich oder mit dolus coloratus verletzt wurde.

Sachverhalt

Die Beklagte schloss bei der Klägerin für einen LKW einen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrag ab. Am 4. Februar 2020 fuhr ein Mitarbeiter der Beklagten mit dem LKW auf das Gelände eines Möbelhauses, um dort Waren abzuliefern. Dabei musste er mit dem LKW eine Schrankenanlage passieren. Im Zuge dessen streifte der Fahrer mit dem LKW das Bedienteil des Modulträgers und den Ticketnehmer der Schrankenanlage, wodurch der Schrankenautomat beschädigt wurde.

Im Bereich der Schrankenanlage befindet sich eine Überwachungskamera, die den Unfall aufzeichnete. Nachdem das Möbelhaus den Schaden an der Schrankenanlage bemerkte, überprüfte es die Aufzeichnungen, stellte die Schadensursache fest und meldete am 5. Februar 2020 der Klägerin den Schaden. Dabei legte sie eine Schadensmeldung und ein Fotoprotokoll vor, auf welchem zu sehen ist, dass der LKW der Beklagten die Schrankenanlage beschädigte. Die Beklagte erstattete selbst erst am 21. Februar 2020 eine Schadensmeldung an die Klägerin.

Relevante Bestimmungen

Gemäß § 6 Abs 1 Z 1 KHVG besteht für den Versicherungsnehmer nach Eintritt eines Versicherungsfalls die Obliegenheit, dem Versicherer längstens innerhalb einer Woche ab Kenntnis den Versicherungsfall unter möglichst genauer Angabe des Sachverhalts anzuzeigen. Gemäß § 33 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer hat den Eintritt des Versicherungsfalles, nachdem er von ihm Kenntnis erlangt hat, unverzüglich dem Versicherer anzuzeigen.

Beide Bestimmungen regeln keine Konsequenzen für die Verletzung der Bestimmung. Sie müssen daher erst durch Vereinbarung zu einer (sekundären) Obliegenheit erhoben werden, damit – innerhalb der Grenzen des § 6 Abs 3 VersVG – Leistungsfreiheit des Versicherers eintreten kann. § 6 Abs 3 VersVG erlaubt es dem Versicherungsnehmer auch bei einer „schlicht“ vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls den Kausalitätsgegenbeweis zu führen. Nur wenn der Versicherungsnehmer eine solche Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren („dolus coloratus“), scheidet der Kausalitätsgegenbeweis aus.

Gemäß § 33 Abs 2 VersVG kann sich der Versicherer aber auf eine Vereinbarung, nach welcher er von der Verpflichtung zur Leistung frei sein soll, wenn der Pflicht zur Anzeige des Versicherungsfalls nicht genügt wird, nicht berufen, sofern er in anderer Weise vom Eintritt des Versicherungsfalls rechtzeitig Kenntnis erlangt hat.

Verhältnis § 33 Abs 2 VersVG zu § 6 Abs 3 VersVG

Die Klägerin behauptet, ihre Leistungsfreiheit ergebe sich aus Art 9.3.3. bzw Art 9.3.4. AKHB in Verbindung mit § 6 Abs 3 VersVG. Sie hat zwar die anwendbaren AKHB weder vorgelegt noch hat das Erstgericht deren Inhalt festgestellt, da jedoch diese Behauptung der Klägerin von der Beklagten nicht substanziiert bestritten wurde, ist von einer entsprechenden Vereinbarung auszugehen (vgl RS0039927).

Im vorliegenden Fall hat der Geschädigte der Klägerin den Verkehrsunfall vom 4. Februar 2021 am 5. Februar 2021 unter Vorlage einer Schadensmeldung und Fotodokumentation angezeigt. Ausgehend vom Wortlaut des § 33 Abs 2 VersVG kann sich die Klägerin daher nicht auf eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit der Beklagten stützen. Sie ist jedoch der Ansicht, § 33 Abs 2 VersVG sei teleologisch dahin zu reduzieren, dass sich Versicherungsnehmer, die mit Täuschungs- und Verschleierungsvorsatz im Sinn von § 6 Abs 3 VersVG handeln, nicht auf § 33 Abs 2 VersVG berufen dürfen, wenn der Versicherer in anderer Weise vom Eintritt des Versicherungsfalls rechtzeitig Kenntnis erlangt hat.

Der OGH sah dies jedoch nicht so:

Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen (RS0116978 [T1]). Ziel der sekundären Obliegenheiten ist somit, die sichere Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der vom Versicherer zu erbringenden Leistungen, also die sachgemäße Abwicklung des Versicherungsfalls zu gewährleisten. Sie haben aber auch generalpräventive Funktion, weil die Drohung mit dem Anspruchsverlust den Versicherungsnehmer motivieren soll, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen (RS0116978).

Es ist unbestritten, dass die verspätete Meldung des Versicherungsfalls geeignet ist, dessen sichere Feststellung sowie die Feststellung des Umfangs der vom Versicherer zu erbringenden Leistungen zu beeinträchtigen und damit zu vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen des Versicherers führen kann. Dies ist bei Anwendung des § 33 Abs 2 VersVG aber gerade nicht möglich, setzt dieser doch voraus, dass der Versicherer rechtzeitig vom Versicherungsfall Kenntnis erlangt hat. Die Regelung widerspricht daher nicht dem Sinn und Zweck von sekundären Obliegenheiten. Aber auch die generalpräventive Funktion solcher Obliegenheiten wird nicht beeinträchtigt, kann der Versicherungsnehmer doch nicht antizipieren, ob der Versicherer in anderer Weise rechtzeitig Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalls erlangen wird.

Es kann somit nicht davon gesprochen werden, dass die Anwendung des § 33 Abs 2 VersVG sowohl auf jene Fälle, in denen die Anzeigeobliegenheit des § 6 Abs 1 KHVG „schlicht“ vorsätzlich, als auch auf jene, in denen sie mit dolus coloratus verletzt wurde, nicht vom Zweck der Regelung erfasst sein sollte und deren Anwendung auf diese Fälle zu sachlich ungerechtfertigten und willkürlichen Ergebnissen führen würde. Oder anders Gesagt: § 33 Abs 2 VersVG ist auch auf jene Fälle anzuwenden, in denen die Anzeigeobliegenheit des § 6 Abs 1 KHVG „schlicht“ vorsätzlich, als auch auf jene, in denen sie mit dolus coloratus verletzt wurde.

 

Zu § 33 VersVG und der Anzeigeobliegenheit in der Rechtsschutzversicherung (samt Unterscheidung zwischen aufrechten und bereits beendeten Verträge) siehe auch 7 Ob 95/21b.

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