Nicht versperrte Türe nicht immer grob fahrlässig

Nicht versperrte Türe nicht immer grob fahrlässig

Das Verlassen des Hauses über mehrere Stunden bei unversperrter Terrassentür stellt nicht in jedem Fall ein grob fahrlässiges Verhalten des Versicherungsnehmers dar.

Sachverhalt

Am 12. Dezember 2019 ereignete sich ein Einbruchsdiebstahl in das Wohnhaus der Kläger. Die Kläger hatten beide gegen 9:00 Uhr in der Früh das Haus verlassen und kamen gemeinsam gegen 22:00 Uhr wieder zurück. Der oder die Täter drangen in diesem Zeitraum über eine Terrassentür in das Haus ein. Diese Tür hat außen einen fixen Knauf und ist von innen versperrbar. Zum Zeitpunkt des Einbruchs war die Tür nicht versperrt, sodass der oder die Täter die Tür „aufhebeln“ konnten. Wäre die Tür zum Zeitpunkt des Einbruchs versperrt gewesen, wäre eine wesentlich größere Gewalteinwirkung notwendig gewesen, um sie aufzubrechen. Dabei wäre eine massivere Ausprägung der Einbruchsspuren zu erwarten gewesen. Den Klägern ist bekannt, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft bereits zu einem früheren Zeitpunkt, wahrscheinlich ebenfalls 2019, ein Einbruchsdiebstahl verübt wurde.

Relevante Bestimmungen der ABH 2013 und ABS 2001

Zwischen den Klägern als Versicherungsnehmer und der Beklagten besteht eine Haushaltsversicherung, der die Allgemeinen Bedingungen für die Haushaltsversicherung (ABH 2013) und die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS 2001) zugrunde liegen.

Artikel 4 ABH 2013

1. Wenn die Versicherungsräumlichkeiten auch für noch so kurze Zeit von allen Personen verlassen werden,

1.1. sind Eingangs- und Terrassentüren, Fenster und alle sonstigen Öffnungen stets ordnungsgemäß verschlossen zu halten. Dazu sind vorhandene Schlösser zu versperren. Dies gilt nicht für Fenster, Balkontüren und sonstige Öffnungen, durch die ein Täter nur unter Überwindung erschwerender Hindernisse einsteigen kann;

5. Die vorstehenden Obliegenheiten gelten als vereinbarte Sicherheitsvorschriften gemäß Artikel 3 ABS. Ihre Verletzung führt nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zur Leistungsfreiheit des Versicherers.

Artikel 3.2. ABS 2001

Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Schadenfall nach der Verletzung eintritt und die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers beruht. Die Verpflichtung zur Leistung bleibt bestehen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Schadenfalles oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der Entschädigung gehabt hat, oder wenn zur Zeit des Schadenfalles trotz Ablaufs der Frist die Kündigung nicht erfolgt war.

Entscheidung der Unterinstanzen

Das Erstgericht

Das Berufungsgericht

sei, müsse mangels Relevanz inhaltlich nicht behandelt werden, weil das Verhalten der Kläger ohnehin als grob fahrlässig zu beurteilen sei.

Der Kausalitätsgegenbeweis sei bereits dann als misslungen anzusehen, wenn – wie hier – durch die Obliegenheitsverletzung die Gefahr eines Einbruchsdiebstahls deshalb gesteigert werde, weil einem Einbrecher weniger Widerstand geboten werde.

OGH-Entscheidung

Im Revisionsverfahren ist nicht strittig, dass der Beklagten der Nachweis der Verletzung des objektiven Tatbestands der Obliegenheit gemäß Art 4.1.1. ABH 2013 gelungen ist.

Grobe Fahrlässigkeit

Grobe Fahrlässigkeit erfordert, dass ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RS0030272).

Nach Ansicht des Fachsenats stellt das Verlassen des Hauses über mehrere Stunden bei unversperrter Terrassentür nicht in jedem Fall ein grob fahrlässiges Verhalten des Versicherungsnehmers dar. Dies auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass den Klägern bekannt war, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein Einbruchsdiebstahl verübt wurde, handelte es sich dabei doch um ein einmaliges Ereignis. Die Kläger behaupteten im Verfahren erster Instanz, sie würden die Tür stets versperrt halten und hätten dies lediglich am Vorfallstag ausnahmsweise vergessen. Zu dieser Behauptung hat das Erstgericht eine Negativfeststellung getroffen, die die Kläger in ihrer Berufung bekämpft haben. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist diese Feststellung von Relevanz, muss doch nach der Rechtsprechung selbst ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen sein. Wenn es der Versicherungsnehmer einmalig unterlässt, eine Terrassentür nicht zu versperren, liegt aber kein subjektiv schwerstens vorwerfbares Verhalten vor.

Hätte die Rüge der Kläger Erfolg, könnte im fortgesetzten Verfahren eine für die Kläger günstige Feststellung getroffen werden und ein bloß leicht fahrlässiges Verhalten der Kläger vorliegen, sodass die Verletzung der Obliegenheit gemäß Art 4.1.1. ABH 2013 nicht die Leistungsfreiheit der Beklagten bewirken würde. In Wahrnehmung dieses Umstands war daher das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und ihm die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Kausalitätsgegenbeweis

Der Fachsenat hat den Nachweis, dass der Eintritt des Versicherungsfalls nicht auf der erhöhten Gefahrenlage beruhte, die typischerweise durch die Obliegenheitsverletzung entsteht (Kausalitätsgegenbeweis), bereits als misslungen angesehen, wenn durch die Obliegenheitsverletzung die Gefahr eines Einbruchsdiebstahls deshalb gesteigert wird, weil einem Einbrecher, etwa durch ein Fenster in Kippstellung, weniger Widerstand geboten wird als durch ein geschlossenes Fenster (7 Ob 239/12s7 Ob 240/18x und 7 Ob 47/22w). Die Verpflichtung, die Wohnung zu versperren, ist ebenfalls eine Obliegenheit mit dem jedem Versicherungsnehmer erkennbaren Zweck, ein unbefugtes Eindringen unmöglich zu machen oder zumindest erheblich zu erschweren. Dieser Zweck kann nicht bereits durch das bloße Zuziehen einer Wohnungstür erreicht werden, bietet dies doch schon nach allgemeinem Kenntnisstand einen weit geringeren Einbruchsschutz (7 Ob 240/18x mwN).

Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, den Klägern sei der Kausalitätsgegenbeweis nicht gelungen, ist somit zutreffend, steht doch fest, dass eine wesentlich größere Gewalteinwirkung notwendig gewesen wäre, um die Türe aufzubrechen, wenn sie versperrt gewesen wäre.

 

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