Geltendmachung von immateriellen Schäden

Geltendmachung von immateriellen Schäden

Die Geltendmachung von immateriellen Schäden als Schadenersatzansprüche wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten ist vom allgemeinen Vertrags-Rechtsschutz (Art 23 ARB) umfasst.

Sachverhalt

Die Klägerin ist Kundin einer Herstellerin von Hardware‑Wallets und schloss mit dieser über deren Online-Shop einen Kaufvertrag über ein Hardware‑Wallet. Auf die Wallet‑Herstellerin fanden zwischen April und Juni 2020 zwei Cyberangriffe statt, bei denen Kundendaten „gestohlen“ und in einem Internetforum veröffentlicht wurden. Von der Klägerin wurden Vor- und Zuname, Adresse, Telefonnummer und E‑Mail‑Adresse veröffentlicht. Aufgrund der Veröffentlichung der personenbezogenen Daten der Klägerin im Internet werde diese mit Unmengen von Werbe‑E‑Mails, Phishing‑E‑Mails und Anrufen von Dritten bombardiert, sodass sie sehr stark verunsichert und beängstigt sei. Es bestehe aufgrund der sich im Umlauf befindlichen personenbezogenen Daten der Klägerin auch die sehr realistische Möglichkeit eines „Identitätsdiebstahls“. Insgesamt sei daher ein immaterieller Schadenersatzanspruch von 10.000 EUR angemessen. Da auch nicht auszuschließen sei, dass bei der Klägerin durch die Phishing-Angriffe materielle Schäden eintreten, beabsichtige sie gegen die Wallet‑Herstellerin auch ein Feststellungsbegehren zu erheben.

Sie begehrt Rechtsschutzdeckung für die Einbringung einer Leistungs- und Feststellungsklage. Der Rechtsschutzversicherer lehnt die Deckung ab,da die behaupteten Schäden keinem der geltend gemachten Rechtsschutzbausteine zuordenbar seien. Es sei auch für jedermann klar, dass nur die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Zusammenhang mit Vermögensschäden versichert sei. Die behaupteten Schäden seien aber ausschließlich immaterieller Natur, sodass diese gemäß Art 19.3.2.2 und Art 23.2.1 ARB 2017 weder im Schadenersatz-Rechtsschutz noch im Vertrags‑Rechtsschutz gedeckt seien. Im Übrigen sei der Vertrag über die Anschaffung eines Hardware‑Wallet ein Vertrag über die Veranlagung von Vermögensgegenständen und Geld, sodass der Risikoausschluss gemäß Art 7.1.14 ARB 2017 greife.

Relevante Bestimmungen der ARB 2017

Artikel 2 Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

1. Für die Geltendmachung eines Personen-, Sach- oder Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen- oder Sachschaden zurückzuführen ist (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1, Artikel 19 Pkt. 2.1 und Artikel 24 Pkt. 2.4), gilt als Versicherungsfall das dem Anspruch zugrundeliegende Schadenereignis.

3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1 und Artikel 19 Pkt. 2.1), sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Artikel 17 Pkt. 2.4, Artikel 23 Pkt. 2.1 und Artikel 24 Pkt. 2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften.

Artikel 19 Schadenersatz – und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich

3. Was ist nicht versichert?

3.2.2 für die Geltendmachung von immateriellen Schadenersatzansprüchen aus der Verletzung von Persönlichkeitsrechten, ausgenommen Personenschäden und Schäden aus der Verletzung der persönlichen Freiheit.

Artikel 23 Allgemeiner Vertrags‑Rechtsschutz

2.1 Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen sowie aus Reparatur- und sonstigen Werkverträgen des Versicherungsnehmers über unbewegliche Sachen.

Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung und Abwehr von Ansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehen und über das Erfüllungsinteresse hinaus gehen, oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.

OGH-Entscheidung

Art 2 ARB 2017 legt fest, dass für die Geltendmachung eines Personen-, Sach- oder Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen- oder Sachschaden zurückzuführen ist, das Schadensereignis (Art 2.1. erster Absatz ARB 2017: „Ereignistheorie“) und in den übrigen Fällen der Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften (Art 2.3. ARB 2017: „Verstoßtheorie“) als Versicherungsfall gilt. Art 2.3. ARB 2017 definiert daher den Versicherungsfall entgegen der Ansicht der Beklagten nicht nur bei Geltendmachung von (reinen) Vermögensschäden, sondern – gleichsam als Auffangtatbestand – in sämtlichen Fällen, die nicht unter Art 2.1. oder Art 2.2. ARB 2017 zu subsumieren sind.

Dass Schadenersatzansprüche wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten vom Vertragsrechtsschutz umfasst sind, bestreitet die Beklagte nicht. Aus Art 23.2.1 zweiter Satz ARB 2017 ergibt sich aber entgegen der Ansicht der Beklagten kein Ausschluss der Geltendmachung von immateriellen Schäden. . Zusammengefasst ist daher die von der Klägerin beabsichtigte Geltendmachung ihrer immateriellen Schäden aus der Datenschutzverletzung beim Kauf eines Hardware‑Wallets gegen dessen Herstellerin vom  Allgemeinen Vertrags-Rechtsschutz (Art 23 ARB 2017) umfasst.

Damit muss auf den weiteren Rechtsschutzbaustein (Art 19 ARB 2017 – Schadenersatz-Rechtsschutz) und den dortigen Risikoausschluss für immaterielle Schäden nicht mehr eingegangen werden. Im vorliegenden Fall hat sich auch nicht das Risiko einer Vermögensveranlagung verwirklicht, sondern das Risiko des Entstehens eines Rechtsstreits infolge des Kaufs eines Hardware-Wallets in einem Online‑Shop. Der Risikoausschluss gemäß Art 7.1.14 ARB 2017 ist daher hier nicht einschlägig.

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