Kein Serienschaden bei selbständigen Mandaten

Kein Serienschaden bei selbständigen Mandaten

Bei Vorliegen mehrerer voneinander unabhängiger Mandatsverhältnissen und Schädigung unterschiedlicher Vermögensmassen liegt trotz gleichgelagerter Fälle der für einen Serienschaden erforderliche wirtschaftliche Zusammenhang nicht vor.

Die Beklagte ist aufgrund des zwischen ihr und der Rechtsanwaltskammer abgeschlossenen Großschadenhaftpflichtversicherungsvertrages für Anwälte (Exzedentenversicherungsvertrag) verpflichtet, für Schäden zwischen 72.674 EUR und 508.710 EUR Deckung zu gewähren. Die Klägerin, eine Rechtsanwaltsgesellschaft, ist Versicherte.

Relevante Bestimmungen der AVBV

Art 3 Sachliche Begrenzung der Haftung des Versicherers

(1) Die Versicherungssumme stellt den Höchstbetrag der dem Versicherer – abgesehen vom Kostenpunkte […] – in jedem einzelnen Schadenfalle obliegenden Leistung dar, und zwar mit der Maßgabe, dass nur eine einmalige Leistung der Versicherungssumme in Frage kommt,

  1. a) gegenüber mehreren entschädigungspflichtigen Personen, auf welche sich der Versicherungsschutz erstreckt;
  2. b) bezüglich eines aus mehreren Verstößen erfließenden einheitlichen Schadens, auch wenn diese Verstöße ganz oder teilweise durch Personen begangen wurden, für die der Versicherungsnehmer nach dem Gesetz einzutreten hat,
  3. c) bezüglich sämtlicher Folgen eines Verstoßes. Dabei gilt mehrfaches auf gleichen oder gleichartigen Fehlerquellen beruhendes Tun oder Unterlassen als einheitlicher Verstoß, wenn die betreffenden Angelegenheiten miteinander im rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang stehen.

Sachverhalt

Die Klägerin vertrat im Zusammenhang mit der Insolvenz einer Gesellschaft eine Vielzahl von Geschädigten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche. Unter anderem meldete die Klägerin Forderungen der Geschädigten gegenüber der Gesellschaft an. Dem Schreiben war eine Excel-Tabelle der von der Klägerin vertretenen Anleger angeschlossen, die allerdings unvollständig geblieben war, da die auf den Zertifikaten genannten Zweit- und Drittanleger nicht angeführt waren. Die Gesellschaft zahlte daher den Zweit- und Drittanlegern zustehende Entschädigungsbeträge von maximal je 20.000 EUR zuzüglich Zinsen nicht aus. Insoweit wird die Klägerin aus dem Titel des Schadenersatzes in Anspruch genommen.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von 45.283 EUR sA an Versicherungsleistung und die Feststellung, dass die Beklagte ihr für sämtliche zukünftigen Schadenersatzansprüche, die von Klienten an sie aufgrund der fehlenden Nennung der Zweit- und Drittanleger herangetragen würden, Deckung bis zum Höchstbetrag von 508.710 EUR zu gewähren habe. Aufgrund der Serienschadenklausel in Art 3.1.c AVBV, welche dem Versicherungsvertrag zwischen der Klägerin und dem Basisversicherer zugrunde liegen, sei laut Klägerin von einem einheitlichen Versicherungsfall auszugehen. Das für alle betroffenen Klienten gemeinsame schadenauslösende Ereignis sei das Schreiben vom 28. 4. 2011 gewesen, mit dem die Ansprüche aller von der Klägerin vertretenen Anleger in einem geltend gemacht worden seien. Auch wenn unterschiedliche Klienten als Geschädigte betroffen seien, sei der Schaden auf ein Tun oder Unterlassen zurückzuführen, das auf einer gleichartigen Fehlerquelle beruhe, auch der wirtschaftliche Zusammenhang sei gegeben. Die Versicherungssumme des Basisversicherers sei daher aufgrund des Vorliegens eines Serienschadens ausgeschöpft, die Deckungspflicht der Beklagten als Excedentenversicherer komme zum Tragen.

OGH-Entscheidung

Zu prüfen war, ob die Versicherung beim Basisversicherer zur Abdeckung des gegenständlichen Schadens ausreicht, wofür die Serienschadenklausel nach Art 3.1.c AVBV auszulegen war.

Die eigentliche Serienschadenklausel wird im zweiten Satz des Art 3.1.c AVBV geregelt. Sie bestimmt, dass die Versicherungssumme nur einmal geleistet wird, einerseits für sämtliche Folgen eines Verstoßes und andererseits bei mehreren Verstößen aufgrund mehrfachen auf gleichen oder gleichartigen Fehlerquellen beruhenden Tuns oder Unterlassens, weil dies bei rechtlichem oder wirtschaftlichem Zusammenhang der betreffenden Angelegenheiten als einheitlicher Verstoß gilt. Ihr Zweck ist es, mittels einer Fiktion mehrere Versicherungsfälle unter bestimmten Voraussetzungen als einen Versicherungsfall zu behandeln, um so die vereinbarte Versicherungssumme nur einmal zur Verfügung zu stellen (7 Ob 70/14s mwN). Sie führt beim Versicherungsnehmer zu einer Schmälerung des Versicherungsschutzes und beim Versicherer trotz mehrerer Verstöße zu einer Begrenzung seiner Eintrittspflicht auf den Höchstbetrag. Sie beschränkt damit als Risikobegrenzungsklausel die Leistungspflicht des Versicherers zu Lasten des Versicherungsnehmers (Gräfe, Die Serienschadenklausel in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung, NJW 2003, 3673 [3674]).

Nicht strittig war, dass die zwar zeitlich zusammenfallenden, aber mehrfachen, weil gegenüber den jeweiligen Mandaten gesondert begangenen Pflichtverletzungen auf „gleichen oder gleichwertigen Fehlerquellen“ beruhten. Im folgenden Halbsatz der Serienschadenklausel kommt es sodann zu einer Einschränkung durch die Anforderung, dass „die betreffenden Angelegenheiten“ miteinander im rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang stehen müsse (vgl Gräfe/Brügge, Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung2 2013 Rn 443; Gräfe aaO [3674] zur vergleichbaren deutschen Bedingungslage).

Die einzelnen Klienten erteilten hier der Klägerin voneinander unabhängig Mandate.  Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass aufgrund der vorliegenden selbstständigen Mandatsverhältnisse – trotz gleichartiger Interessen der unterschiedlichen Mandanten und der gleichen Vorgangsweise der Klägerin in mehreren Fällen – kein rechtlicher Zusammenhang gegeben ist, wurde von der Klägerin selbst als richtig bezeichnet und bedurfte keines weiteren Eingehens (vgl auch Fuhrer aaO 839, Wilhelmer aaO [258]; Fenyves aaO [37]; BGH IV ZR 19/03).

Ein wirtschaftlicher Zusammenhang war hier gleichfalls zu verneinen: Mag der Versicherungsnehmer einer Rechtsanwalts-Vermögensschadenhaftpflichtversicherung auch bei einer Beauftragung mit einer Vielzahl gleichartiger Mandate nicht jeden einzelnen Fall mit gleichem juristischen und kanzleiinternen Aufwand aufarbeiten müssen, so schuldet er aufgrund der selbstständigen Mandatsverhältnisse jedem einzelnen Mandanten die pflichtgemäße Erfüllung des Bevollmächtigungsvertrags, sodass er auch dem jeweiligen Mandanten aus dem pflichtwidrig erledigten Mandat haftbar wird. Es fehlt aber an einem wirtschaftlichen Zusammenhang der selbstständig erteilten Mandate, wenn dem Versicherungsnehmer aus der – wenngleich von der gleichen Fehlerquelle beeinflussten – Erledigung der jeweiligen Bevollmächtigungsverträge ein Haftungsvorwurf gemacht wird, der zur Schädigung von selbstständigen Vermögensmassen der unterschiedlichen Rechtsinhaber führt (vgl Gräfe aaO [3675]; Fuhrer aaO 840). Bei Vorliegen mehrerer voneinander unabhängiger Mandatsverhältnissen und Schädigung unterschiedlicher Vermögensmassen reicht das standardisierte Vorgehen des versicherten Rechtsanwalts namens der einzelnen Mandanten ebensowenig wie das Zusammenfassen deren Erklärungen in einem Schriftsatz aus, um einen wirtschaftlichen Konnex herzustellen.

Der OGH bestätige daher die klagsabweisenden Entscheidungen der Unterinstanzen. Die fehlerhafte Vertretung der Klägerin in Bezug auf die jeweils selbstständigen Mandate, die sich auch jeweils nur beim jeweiligen Mandanten vermögensschädigend auswirkte, ist mangels rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs nicht als ein einheitlicher Verstoß im Sinn des Art 3.1.c AVBV anzusehen, sodass die mit dem Basisversicherer vereinbarte Versicherungssumme nicht erreicht ist und damit die Exzedentenhaftpflichtversicherung der Beklagten noch nicht zum Tragen kommt.

Anmerkungen

Normalerweise muss der Rechtsanwalt / die Rechtsanwältin besorgt sein, dass mehrere, gleichgelagerte Schadenfälle nicht als einzelne Versicherungsfälle, sondern als Serienschaden gesehen werden, und die Versicherungssumme aufgrund der Addition der Schadenersatzforderungen in solchen Fällen oft ausgeschöpft ist. Gegenständlich liegt der umgekehrte Fall vor. Aufgrund der Einstiegsgrenze des Exzedentenversicherers hätte sich die Klägerin, aber wohl eigentlich ihr Basisversicherer gewünscht, dass bei gleichgelagerten, aber dennoch selbständigen Mandaten ein Serienschaden vorliegt, um die Ausschöpfung der Basisversicherungssumme und somit die Einstiegsgrenze des Exzedentenversicherung zu erreichen. So muss nun der Basisversicherer für jeden einzelnen Schadenfall aufkommen. Dies mag für den Kläger vorerst kein unangenehmes Ergebnis sein. Zu beachten ist jedoch für die Praxis, dass viele Vermögensschadenhaftpflichtversicherungen eine Klausel beinhalten, welche die Maximalleistung für sämtliche Versicherungsfälle in einem Jahr beispielsweise mit dem Dreifachen der vereinbarten (beim Basisversicherer entsprechend geringen) Versicherungssumme begrenzen. Es besteht also die Möglichkeit, dass die versicherte Rechtsanwaltsgesellschaft nicht für alle Versicherungsfälle Deckung vom Basisversicherer erhält, wenn die Maximalleistung ausgeschöpft ist. Würde ein Serienschaden vorliegen, könnte die Versicherungsnehmerin hingegen nach Ausschöpfung der Versicherungssumme des Basisversicherers vom Exzedentenversicherer Deckung erhalten.

Siehe auch versdb 2021, 19 – https://versdb.com/ und AnwBl 2021,341 (Michtner)

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