Bewusster Verstoß gegen behördliche Vorschriften – Selbstverschuldensprinzip

Bewusster Verstoß gegen behördliche Vorschriften – Selbstverschuldensprinzip

Fehlhandlungen, die vom Erfüllungsgehilfen des Versicherungsnehmers gesetzt werden, dem nicht eine im Ausschluss des bewussten Zuwiderhandelns gegen Vorschriften genannte Funktion zukommt, führen nicht zum Wegfall des Versicherungsschutzes (Selbstverschuldensprinzip).

Zwischen den Streitteilen besteht eine Betriebshaftpflichtversicherung.

Relevante Bestimmungen der EHVB

Bewusstes Zuwiderhandeln gegen Vorschriften

Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt wurde und bewusst – insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise – den für den versicherten Betrieb oder Beruf geltenden Gesetzen, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften zuwidergehandelt wurde, und zwar durch einen Versicherungsnehmer oder dessen gesetzlichen Vertreter oder dessen Entscheidungsträger im Sinn des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes (BGBl Nr 151/2005) in der jeweils geltenden Fassung bzw über Veranlassung oder mit Einverständnis einer dieser Personen.

Sachverhalt

Die VN führte Revisionsarbeiten im Druckschacht eines Kraftwerks durch. Es sollte dabei der Innenanstrich der rund 4 m breiten Stahl-Rohrleitung, die im Inneren des Bergs talwärts führt, mittels Strahlgut entfernt werden. Zur Durchführung dieser Strahlarbeiten setzte die Klägerin einen für die Baustelle angefertigten Strahl- und Bedienerwagen ein.

Für die Baustelle gab es entsprechend den Bestimmungen des Bauarbeitenkoordinationsgesetzes (BauKG) einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan (SiGe-Plan).

Die Stromversorgung im unmittelbaren Arbeitsbereich erfolgte über einen Gummiverteiler, der sich am Strahlwagen befand. Zum Unfallszeitpunkt war der Verteiler mit einer Plastikhülle versehen, welche aufgrund einer Öffnung für die Kabel nicht komplett dicht war. Die Hülle sollte den Baustromverteiler zusätzlich gegen Verschmutzung und Staub schützen. Weder den Arbeitern noch dem Geschäftsführer der VN war bewusst, dass es trotzdem zu einer allfälligen Verstaubung im Inneren des Geräts kommen könnte.

Am 29. 10. 2014 kam es zu einem Ausfall der für die Revisionsarbeiten eigens errichteten Entstaubungsanlage, sodass das vorhandene Staubgemisch nicht mehr abgesaugt werden konnte. Nachdem daraufhin die Arbeiter das Rohr verlassen hatten, entwickelte sich ein Brand, im Zuge dessen durch Verformung der Rohre am Druckrohrleitungssystem der Auftraggeber ein Schaden entstand.

OGH-Entscheidung

Bei den Bestimmungen des Art 7.2 AHVB 2011 und Abschnitt A Z 3 EHVB 2011 handelt es sich um Risikoausschlüsse (RIS-Justiz RS0081678; RS0081866). Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand hat der Versicherer zu führen (RIS-Justiz RS0107031).

Nach der Bestimmung des Abschnitts A Z 3 EHVB 2011 ist der Versicherer nur dann leistungsfrei, wenn der Versicherungsfall fahrlässig herbeigeführt wurde und bewusst – insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise – den für den versicherten Betrieb oder Beruf geltenden Gesetzen, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften zuwider gehandelt wird, und zwar durch den Versicherungsnehmer, oder dessen gesetzlichen Vertreter oder einen Entscheidungsträger im Sinn des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorhanden sein. Die Leistungsfreiheit des Versicherers setzt daher nicht das Kennenmüssen, das heißt einen grob fahrlässigen Verstoß gegen Vorschriften voraus, sondern einen bewussten, das heißt vorsätzlichen Verstoß (7 Ob 99/13d). Der Versicherungsnehmer muss die Verbotsvorschrift zwar nicht in ihrem Wortlaut und in ihrem ganzen Umfang kennen, er muss sich aber bei seiner Vorgangsweise bewusst sein, dass er damit gegen Vorschriften verstößt, muss also das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seiner Handlungsweise haben (RIS-Justiz RS0052282).

Die Beklagte argumentiert im Wesentlichen, der Geschäftsführer der Klägerin habe die im SiGe-Plan vorgesehene wöchentliche Überprüfung dem Bauleiter übertragen. Das – behauptete – Unterbleiben sei der Versicherungsnehmerin daher im Rahmen der Ausschlusstatbestände des Art 7.2 AHVB 2011 und Abschnitt A Z 3 EHVB 2011 zuzurechnen. Der Bauleiter ist zweifellos weder Versicherungsnehmer noch gesetzlicher Vertreter der Versicherungsnehmerin. Dass er maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des Verbands ausübte, sohin Entscheidungsträger nach der hier allein allenfalls in Betracht kommenden Bestimmung des § 2 Abs 1 Z 3 VbVG war, ist weder behauptet noch festgestellt. Nach der ständigen Rechtsprechung führen Fehlhandlungen, die vom Erfüllungsgehilfen des Versicherungsnehmers gesetzt werden, dem nicht eine im Sinn des Abschnitt A Z 3 EHVB genannte Funktion zukommt, nicht zum Wegfall des Versicherungsschutzes, selbst wenn der Erfüllungsgehilfe einen Auftrag selbständig ausführt (vgl RIS-Justiz RS0087582).

Zusammengefasst bedeutet dies, dass selbst wenn es zutreffen würde, dass der Bauleiter eine wöchentliche Kontrolle des Verteilers unterlassen hätte, dies der Klägerin im Sinne der obigen Ausführungen nicht zuzurechnen wäre, weshalb Leistungsfreiheit der Beklagten nach Art 7.2 AHVB 2011 und nach Abschnitt A Z 3 EHVB 2011 auch nicht eingetreten wäre.

Hat demnach die klagende Versicherungsnehmerin für ihren Bauleiter nicht einzustehen, könnte nach dem Selbstverschuldensprinzip ein zur fehlenden Leistungsverpflichtung des beklagten Versicherers führender Vorwurf nur dann greifen, wenn sie es etwa an der erforderlichen Sorgfalt hätte fehlen lassen und ihr Betrieb demzufolge Organisationsmängel aufgewiesen hätte, die den Eintritt des gegenständlichen Versicherungsfalls erheblich begünstigten. Die in diesem Zusammenhang erstmals in der Berufung aufgestellte Behauptung, die Bestellung des für die übertragene Aufgabe der wöchentlichen Kontrollen aufgrund seiner Berufsausbildung ungenügend qualifizierten Bauleiters sei der Klägerin als Organisationsverschulden anzulasten, widerspricht dem Neuerungsverbot.

Anmerkungen

Sowohl beim Vorsatzausschluss als auch bei den vorsatznahen Ausschlusstatbeständen des Artikel 7.2 AHVB schadet nur das Verhalten des Versicherungsnehmers. Liegt eine Versicherung für fremde Rechnung vor, schadet gem. § 78 VersVG auch das Verhalten des Versicherten. Das bedeutet beispielsweise für die Betriebshaftpflichtversicherung, dass das Verhalten der Erfüllungsgehilfen – also im Wesentlichen das Verhalten der Arbeitnehmer – nicht schadet. Lediglich der Ausschluss für bewusstes Zuwiderhandeln gegen Vorschriften kann für Betriebsrisiken vorsehen, dass dem Versicherungsnehmer auch das Verhalten von dessen gesetzlichen Vertretern oder dessen leitenden Angestellten im Sinne des Arbeitsverfassungsgesetzes schadet.

Im vorliegenden Fall schadet lt. den Bedingungen beim Ausschluss für bewusstes Zuwiderhandeln gegen Vorschriften das Verhalten eines Entscheidungsträgers im Sinn des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes. Das Vorliegen dieser Eigenschaft des Bauleiters wurde aber im Prozess weder behauptet noch festgestellt. (vgl versdb 2018, 28 – versdb.com)

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