Offene Mitversicherung (Konsortialversicherung) und materielle Streitgenossenschaft

Offene Mitversicherung (Konsortialversicherung) und materielle Streitgenossenschaft

Die auf Legalzessionen gestützten Forderungen mehrerer Versicherer eines Konsortiums auf Ersatz der von ihnen ihrem Versicherungsnehmer - entsprechend ihrem Anteil - erbrachten Versicherungsleistungen sind getrennt zu betrachten. Bei den Versicherern handelt es sich gegenüber dem Schädiger nicht - wie nach § 55 Abs 4 iVm § 55 Abs 1 Z 2 JN erforderlich - um materielle Streitgenossen.

Sachverhalt

Die Klägerinnen sind Versicherungsunternehmen. Die S* GmbH ist ein deutsches Speditionsunternehmen und Versicherungsnehmerin eines Verkehrshaftungsversicherungsvertrags, wobei es sich um einen Konsortialversicherungsvertrag unter Führung der Erstklägerin handelt. Aufgrund der Beteiligungsliste ist die Erstklägerin zu 27,5%, die Zweitklägerin zu 42,5%, die Drittklägerin zu 20% und die Viertklägerin zu 10% beteiligt.

Die Beklagte ist ein Transportunternehmen mit Sitz in Polen, welches von der S* GmbH im September 2016 mit der Beförderung einer Fracht (Kältemaschine) von Italien nach Österreich beauftragt wurde. Die S* GmbH ihrerseits war mit dem Transport beauftragt.

Beim Entladen der Fracht kam es zu Problemen, da das Dach der Ladefläche des LKWs nicht geöffnet werden konnte. Es musste ein Stapler herbeigeschafft und in Folge von der Seite entladen werden. In einem Verfahren am Landesgericht Stuttgart wurde die S* GmbH zum Ersatz des – von der Beklagten schuldhaft verursachten – Schadens wegen Überschreitung der Lieferfrist und der Verfahrenskosten des Gegners verpflichtet.

Die Klägerinnen haben – entsprechend ihrer jeweiligen Beteiligungen – der S* GmbH Ersatz für die Schadenersatzverpflichtung, der Verfahrenskosten des Gegners und ihrer eigener Verfahrenskosten geleistet. Die Forderungen seien daher entsprechend der übernommenen Quoten der Klägerinnen nach § 86 Abs 1 dVVG auf sie übergegangen.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil die Klagsforderungen dem Grunde nach als zu Recht bestehend.

Das Berufungsgericht gab mit seinem Teil‑ und Zwischenurteil der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Zwischenurteil dahin ab, dass es die Klagsforderungen in Höhe von 649,56 EUR sA (Erstklägerin), 1.003,86 EUR sA (Zweitklägerin), 472,40 EUR sA (Drittklägerin) und 236,20 EUR sA (Viertklägerin) abwies. Es erklärte die ordentliche Revision der Klägerinnen gegen die Abweisung ihrer Klagebegehren nachträglich für zulässig.

Anmerkung zur OGH-Entscheidung

Der Fachsenat des OGH befasste sich vorliegend im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung, ob die an einer offenen Mitversicherung beteiligten Versicherer als materielle Streitgenossen im Sinne des § 11 Z 1 ZPO zu qualifizieren sind und damit eine Zusammenrechnung gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN vorzunehmen war. Diese Zusammenrechnung ist unter anderem für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln maßgeblich (§ 55 Abs 4 JN).

Liegt keine materielle, sondern nur eine formelle Streitgenossenschaft nach § 11 Z 2 ZPO vor, kommt es selbst dann nicht zu einer Zusammenrechnung, wenn die geltend gemachten Ansprüche in einem rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang stehen (OGH 4 Ob 104/11i = RIS-Justiz RS0035528).

Im Ergebnis verneint der OGH das Vorliegen einer materiellen Streitgenossenschaft. Die Klägerinnen würden weder in Ansehung des Streitgegenstands dem Beklagten gegenüber in Rechtsgemeinschaft stehen noch sind sie aus demselben Grund berechtigt. Auch eine solidarische Berechtigung kommt nicht in Betracht.

Streitgegenständlich ist ein Regressanspruch der Versicherungsnehmerin gegen die Beklagte, welche ihrerseits im Verfahren vor dem Landesgericht Stuttgart zum Ersatz des von der Beklagten schuldhaft verursachten Schadens und der Verfahrenskosten verurteilt wurde. Mit Erbringung der Versicherungsleistung ist dieser Regressanspruch samt der eigenen Verfahrenskosten der Versicherungsnehmerin durch Legalzession gemäß § 67 Abs 1 VersVG bzw § 86 Abs 1 dVVG auf die Klägerinnen übergegangen.

Gemäß der ersten Variante des § 11 Z 1 ZPO liegt eine materielle Streitgenossenschaft vor, wenn mehrere Personen in Ansehung des Streitgegenstands in Rechtsgemeinschaft stehen. Der Begriff des Streitgegenstandes ist eng zu verstehen und umfasst das im Klagebegehren erfasste Recht und den daraus abgeleiteten Anspruch, deren Leistung begehrt oder verweigert werden soll (Schneider in Fasching/Konecny3 II/1 § 11 ZPO Rz 9).

Ob eine Rechtsgemeinschaft vorliegt, hatte der OGH daher aus den Angaben der Klage zu beurteilen. Danach stützten die Klägerinnen ihr Klagebegehren auf die jeweils auf sie übergegangene Forderung und machten gegenüber der Beklagten – entsprechend ihrer Beteiligung am Versicherungsvertrag – den geleisteten Schadenersatz und die Verfahrenskosten geltend.

Nach Ansicht des OGH liegt keine Rechtsgemeinschaft vor, da die Klägerinnen die jeweils auf sie übergegangenen Regressansprüche zwar gemeinsam gegenüber dem Schädiger geltend machen, sie ihm gegenüber aber nicht in Rechtsgemeinschaft stehen. Eine allfällige Rechtsgemeinschaft der Mitversicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer genüge laut OGH nicht.

Dabei lässt der OGH jedoch unberücksichtigt, dass sich die Rechtsposition der Klägerinnen aus der vom Versicherungsnehmer auf sie übergegangenen Forderungen ableitet. Die Wirkungen des Forderungsübergangs nach § 67 VersVG entsprechen denjenigen einer Forderungsabtretung nach allgemeinem Zivilrecht. Demnach ändert sich die Rechtsnatur des übergegangenen Anspruchs durch die Legalzession nicht (RIS-Justiz RS0080594). Die Rechtsstellung des ersatzpflichtigen Dritten darf durch die Legalzession daher nicht verschlechtert werden (§§ 1395f ABGB). Das heißt, er kann dem Versicherer alle Einwendungen entgegenhalten, die ihm gegen den Versicherungsnehmer zugestanden wären; etwa der Einwand des Mitverschuldens oder der Einwand der Verjährung oder Präklusion des Anspruchs (Burtscher/Ertl in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG7 § 67 Rz 33. Umgekehrt darf sich aber auch die Position des Versicherers nicht verschlechtern. So kommt diesem gegenüber dem Dritten dieselbe Rechtsstellung wie dem Versicherungsnehmer zu (§ 1394 ABGB). Zu Gunsten des Versicherungsnehmers bestehende Sicherheiten gehen auf den Versicherer über (Burtscher/Ertl in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG7 § 67 Rz 37).

Im Lichte dieses zessionsspezifischen Verschlechterungsverbots ist daher nicht nachvollziehbar, warum die Klägerinnen als Gläubiger der auf sie übergegangenen Forderung dadurch schlechter gestellt werden dürfen, indem ihnen – im Gegensatz zu ihrer Versicherungsnehmerin – die Möglichkeit einer Revision genommen wird, da sie mangels Zusammenrechnung ihrer Ansprüche die Wertgrenze des § 502 Abs 3 ZPO nicht erreichen.

Vielmehr wäre wohl der Ansatz zu wählen, dass die im Wege der Legalzession auf die Klägerinnen übergegangenen Regressforderungen als einheitlicher Streitgegenstand anzusehen und die Klägerinnen damit als Rechtsgemeinschaft iSd § 11 Z 1 ZPO zu qualifizieren sind.

Auch eine materielle Streitgenossenschaft, unter der Voraussetzung, dass für alle Streitgenossen ein einheitlicher rechtserzeugender Sachverhalt gegeben ist, schließt der OGH aus. Dieser beruft sich auf seine bisherige Judikatur, wonach für keinen Streitgenossen weitere rechtserzeugende Tatsachen für die Ableitung des Anspruchs hinzutreten bzw von einem einheitlichen rechtserzeugenden Sachverhalt (Klagegrund) ausgegangen wird. Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei nur diejenigen Tatsachen, die den Klagsanspruch erzeugen, nicht aber solche, die den entstandenen Anspruch selbst unberührt lassen (Schneider in Fasching/Konecny3 II/1 § 11 ZPO Rz 12).

Vorliegend sieht der OGH einen solchen gemeinsamen rechtserzeugenden Tatbestand für die von den Klägerinnen erhobenen Ansprüche nicht, da in der Erbringung der Versicherungsleistung der Klägerinnen gegenüber dem Versicherungsnehmer jeweils die rechtserzeugende Tatsache für die Ableitung der jeweiligen Klagsforderung zu sehen ist.

Dem OGH ist darin zuzustimmen, dass es sich bei der offenen Mitversicherung (Konsortialversicherung) in der Regel um rechtlich selbstständige Verträge handelt, welche in einem Versicherungsschein gebündelt werden und jeder Versicherer bei Eintritt des Versicherungsfalls mit seinem Anteil als Einzelschuldner haftet (Kath in Kath/Kronsteiner/Kunisch/Reisinger/Wieser, Handbuch Versicherungsvertragsrecht I Rz 1316 ff). Ansatzpunkt für den gemeinsamen rechtserzeugenden Tatbestand ist gegenständlich jedoch nicht die sich aus den jeweiligen Versicherungsverträgen ergebende Leistungspflicht der Klägerinnen. Vielmehr resultieren die klagsgegenständlichen Forderungen auf einem einheitlichen rechtserzeugenden Sachverhalt im Sinne des § 11 Z 1 ZPO, nämlich dem Regressanspruch des Versicherungsnehmers gegenüber dem Beklagten, welcher durch Legalzession im Umfang der jeweils übernommenen Quoten auf die Klägerinnen übergegangen ist. Dafür spricht auch das bereits oben Gesagte, wonach sich durch den Forderungsübergang die Rechtsnatur des übergegangenen Anspruchs nicht ändert (RIS-Justiz RS0080594).und den Klägerinnen gegenüber der Beklagten dieselbe Rechtsstellung wie ihrer Versicherungsnehmerin zukommt.

Es bleibt daher abzuwarten, ob der OGH diese Rechtsprechung aufrechterhalten wird und diese Benachteiligung in der Rechtsstellung von beteiligten Versicherern einer offenen Mitversicherung – im Gegensatz zu ihrem gemeinsamen Versicherungsnehmer – hingenommen werden muss. Da die Legalzession nach § 67 VersVG einer Forderungsabtretung nach allgemeinem Zivilrecht entspricht, müsste im Falle einer rechtsgeschäftlichen Zession an mehrere Zessionare und einer dadurch erfolgten Aufspaltung der Forderung bedacht werden, dass diese derzeitige Rechtsprechung auch auf rechtsgeschäftliche Zessionen anwendbar sein kann.

Von Nora Michtner und Julia Loisl  – vgl auch ZVers 5/2023.

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