Obacht bei mehreren Urteilsbegehren

Obacht bei mehreren Urteilsbegehren

Enthält eine Klage mehrere Urteilsbegehren und wird eine solche Klage mit einem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung verbunden, kann es (gerade im Gesellschafterstreit, bei dem es so schwierig ist, einstweilige Verfügungen zu erwirken) riskant sein, wenn man im Vorbringen zur Erlassung der einstweiligen Verfügung nur auf das Klage-Vorbringen verweist.

Um den Sachverhalt und die Aussagen des Obersten Gerichtshofes leichter zu verstehen, empfehlen wir, auch OGH 30.06.2022, 6 Ob 124/22m (1. Rechtsgang) sowie OGH 29.08.2022, 6 Ob 125/22h zu lesen.

Bei diesen zwei Entscheidungen handelt es sich um zwei GmbHs mit denselben Gesellschaftern, wobei die jeweils erstbeklagte Partei zunächst Alleingesellschafterin der zwei GmbHs war, allerdings je die Hälfte ihres Geschäftsanteiles treuhändig für die klagende Partei hielt. In beiden GmbHs wird um dasselbe gestritten, nämlich, dass die erstbeklagte Partie die treuhändig gehaltenen Hälfteanteile treuwidrig an die kollusiv mitwirkende zweitbeklagte Partei abgetreten habe. In beiden Gerichtsverfahren stellte die klagende Partei im Wesentlichen wortgleiche Urteils- sowie Sicherungsanträge.

Die Urteilsanträge lauten in etwa so, wobei wir diese und unsere weiteren Ausführungen wegen der besseren Verständlichkeit nur auf eine der zwei GmbHs beziehen, also nur über eine der zwei OGH-Entscheidungen berichten:

1. Das Gericht möge feststellen, dass die beklagten Parteien für zukünftige Schäden haften, die aus der treuwidrigen Abtretung des Geschäftsanteiles münden (Feststellungsbegehren).

2. Das Gericht möge die zweitbeklagte Partei verpflichten, den treuwidrig übertragen bekommenen Geschäftsanteil an die klagende Partei abzutreten (Leistungsbegehren).

Alternativ dazu hat die klagende Partei „in eventu“ beantragt,

2.a. das Gericht möge feststellen, dass die treuwidrige Abtretung des Geschäftsanteiles unwirksam ist (Feststellungsbegehren) und

2.b. das Gericht möge die erstbeklagte Partei verpflichten, beim zuständigen Firmenbuchgericht anzumelden, dass die klagende Partei ein – offensichtlich im Zuge der Treuhandabrede gelegtes – Abtretungsangebot der erstbeklagten Partei angenommen habe, sodass jetzt die klagende Partei Gesellschafterin sei (Leistungsbegehren).

3. Das Gericht möge die zweitbeklagte Partei verpflichten, die Ausübung von Gesellschafterrechten zu unterlassen (Unterlassungsbegehren).

Ergänzend dazu stellte die klagende Partei die Sicherungsanträge, das Gericht möge der zweitbeklagten Partei mit einstweiliger Verfügung gebieten,

a) jede Übertragung und Belastung des Hälfteanteiles,

b) die Ausübung des Kündigungsrechts,

c) die Auflösung der GmbH sowie

d) die Ausübung von Gesellschafterrechten, insbesondere des Stimmrechtes

ohne Zustimmung des Klägers zu unterlassen.

Das Erstgericht erließ eine einstweilige Verfügung und gebot der zweitbeklagten Partei, jede Übertragung und Belastung des Hälfteanteiles (lit. a), die Ausübung des Kündigungsrechts (lit. b) sowie die Auflösung der GmbH zu unterlassen (lit. c).

Das Mehrbegehren über das generelle Verbot der Ausübung von Gesellschafterrechten (lit. d) wies das Erstgericht ab. Dagegen erhob die klagende Partei ein Rechtsmittel, welches keinen Erfolg hatte, denn das Oberlandesgericht Graz war der Ansicht, der Kläger habe zu seiner Anspruchsgefährdung unzureichend vorgebracht und sich bloß auf die abstrakte Behauptung beschränkt, ihm drohe ein unwiederbringlicher Schaden, weil Gesellschafterbeschlüsse nicht rückgängig gemacht werden könnten. Welche konkreten Schritte zum Nachteil des Klägers drohten, sei nicht behauptet worden. Die erforderliche Bescheinigung einer konkreten Gefährdung sei der klagenden Partei daher nicht gelungen. Auch eine Interessenabwägung schlage zugunsten der zweitbeklagten Partei aus, die auf eine existenzielle Bedrohung des Geschäftsbetriebs der GmbH verwiesen habe, würde man die im Gesellschaftsvertrag der Zustimmung der Generalversammlung unterliegenden Angelegenheiten von der Zustimmung des Klägers abhängig machen.

Das Oberlandesgericht Graz ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, seine Entscheidung könnte nicht im Einklang mit der Entscheidung 6 Ob 200/14a des Obersten Gerichtshofes stehen. Damit jedoch hat der Oberste Gerichtshof sich überhaupt nicht beschäftigt, ließ den Revisionsrekurs nicht zu und sprach aus, dass nach ständiger Rechtsprechung der von einer gefährdeten Partei behauptete und mit einstweiliger Verfügung zu sichernde Anspruch genau bezeichnet werden muss (RS0005210; 8 Ob 671/87; 3 Ob 223/03w; 8 Ob 159/18t). Grundsätzlich genügt dafür ein Verweis auf das Klage-Vorbringen. Bei mehreren zu sichernden Ansprüchen jedoch nur dann, wenn sich exakt zuordnen lässt, welcher Klage-Anspruch mit einstweiliger Verfügung gesichert werden soll. Lassen sich aber aus dem Klage-Vorbringen mehrere Ansprüche ableiten, sind jene genau zu bezeichnen, für welche eine Sicherung durch eine einstweilige Verfügung begehrt wird (RS0005231).

Im konkreten Fall meinte der Oberste Gerichtshof, dass die klagende Partei mit ihrer Klage eine Mehrzahl an Begehren stellte (vgl. oben die Urteilsanträge 1 bis 3) und unklar geblieben ist, welcher der in der Klage geltend gemachten Ansprüche dadurch gesichert werden sollte, dass der zweitbeklagten Partei „die Ausübung von Gesellschafterrechten“ untersagt wird. Deshalb hat das Erstgericht dieses Mehrbegehren zu Recht abgewiesen. Bei dieser Argumentation stützte der Oberste Gerichtshof sich auch auf seine Entscheidung 4 Ob 80/22a.

Wir lernen daraus, dass es riskant ist, bei Anträgen auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nur auf das Klagevorbringen zu verweisen – insbesondere, wenn eine Klage mehrere Begehren enthält. Es lohnt sich, im Vorbringen zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung exakt auszuführen, für welche Klage-Ansprüche eine Sicherung durch eine einstweilige Verfügung begehrt wird.

Dazu eine kleine Geschichte: Ein mit uns gut befreundeter Rechtsanwalt erzählte uns, dass er einmal bei einer sehr komplizierten Klage das Klagebegehren mit einem Universitätsprofessor für Zivilverfahrensrecht gemeinsam erarbeitet habe. Bei der ersten Gerichtsverhandlung meinte die Richterin, dass Klagebegehren sei nicht schlüssig und müsse umgestellt werden. Dies wurde natürlich entsprechend gemacht. Es kam zu einem Richterwechsel. Zur großen Überraschung des mit uns befreundeten Anwaltes meinte der neue Richter bei der ersten von ihm geleiteten Gerichtsverhandlung: „Das umgestellte Klagebegehren sei unschlüssig, es müsse wieder umgestellt werden.“ Dies zeigt, dass es nicht nur eine Kunst ist, Klagebegehren richtig zu stellen, sondern auch stark vom jeweiligen Richter abhängt.

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