Aufgriffsrechte im Insolvenzfall

Aufgriffsrechte im Insolvenzfall

Aufgriffsrechte dürfen auch für den Fall der Insolvenz eines Gesellschafters vereinbart werden.

Gesellschafter wollen aus nachvollziehbaren Gründen „unter sich“ bleiben und (mit)entscheiden, wer neuer Geschäftspartner in der Gesellschaft wird. Um dies zu gewährleisten, werden in der Praxis häufig Aufgriffsrechte in Gesellschaftsverträgen vereinbart, wodurch verhindert wird, dass Geschäftsanteile an Gesellschaftsfremde übertragen werden.

Dabei gewährt das Aufgriffsrecht den Gesellschaftern in vorher definierten Aufgriffsfällen das (Vor)Recht zum Erwerb des Anteils eines Mitgesellschafters unter gesellschaftsvertraglich vorgegebenen Voraussetzungen. Der Gesellschaftsvertrag enthält dann häufig auch Abfindungsbestimmungen, die den Aufgriffspreis regeln. In der Insolvenz eines Gesellschafters erhält der Insolvenzverwalter Zugriff auf den Geschäftsanteil des insolventen Gesellschafters und kann diesen auch versilbern, um das Vermögen der Insolvenzmasse zu erhöhen. Deshalb ist ein in der Praxis in den Gesellschaftsverträgen häufig definierter Aufgriffsfall die Insolvenz eines Gesellschafters, andernfalls die Gesellschafter in diesem Fall nicht „unter sich“ bleiben können.

Entscheidung OLG Linz 6 R 95/19m

Doch dieser gängigen Praxis widersprach das Oberlandesgericht Linz (OLG Linz) kürzlich in einer Entscheidung aus dem Jahr 2019 (6 R 95/19m): In dieser Entscheidung hielt das OLG Linz fest, dass der Geschäftsanteil eines insolventen Gesellschafters in die Insolvenzmasse fällt und vom Insolvenzverwalter ohne Rücksicht auf ein gesellschaftsvertraglich vereinbartes Aufgriffsrecht frei veräußert werden kann. Das OLG Linz begründet seine Entscheidung mit dem der Insolvenzordnung inhärenten Prinzip des Gläubigerschutzes. Der Geschäftsanteil soll nicht durch die Vereinbarung eines Aufgriffsrechts (samt Abfindungsbestimmungen) vor dem unbeschränkten Zugriff der Gläubiger in der Insolvenz eines Mitgesellschafters immunisiert werden. Um dies zu gewährleisten sieht die Insolvenzordnung in § 26 Abs 3 IO vor, dass der Insolvenzverwalter an Anträge des Schuldners nicht gebunden ist, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht angenommen worden sind. Das OLG Linz beurteilt ein gesellschaftsvertraglich vereinbartes Aufgriffsrecht im Insolvenzfall, als ein (zwingendes) Verkaufsangebot des insolventen Gesellschafters an die übrigen Mitgesellschafter zum Erwerb seines Geschäftsanteils. Dieses Verkaufsangebot sei nach Ansicht des OLG Linz mit einem Antrag des Schuldners iSd § 26 Abs 3 IO gleichzusetzen und daher im Insolvenzfall unwirksam.

Entscheidung OGH 6 Ob 64/20k

Dieser Rechtsansicht des OLG Linz widersprach der Oberste Gerichtshof (OGH) in einem kürzlich an ihn herangetragenen Fall (6 Ob 64/20k): Die Höchstrichter setzten sich intensiv mit der bisherigen Rechtsprechung und der Literatur zu Aufgriffsrechten in Gesellschaftsverträgen auseinander und kommen zum Schluss, dass Aufgriffsrechte sehr wohl auch für den Fall der Insolvenz eines Gesellschafters vereinbart werden können. Der OGH betont das evidente und legitime Interesse der Gesellschafter, im Fall der Insolvenz eines Mitgesellschafters das Eindringen eines Gesellschaftsfremden zu verhindern. Zudem schließt sich der OGH der überwiegend bereits in der Lehre vertretenen Auffassung an, wonach gesellschaftsvertraglich vereinbarte Aufgriffsrechte nicht unter § 26 Abs 3 IO (Anträge des Schuldners) zu subsumieren sind. Der Geschäftsanteil besteht aus der Summe aus Rechten und Pflichten eines Gesellschafters. Dazu zählt auch die aus einem gesellschaftsvertraglich vereinbarte Aufgriffsrecht resultierende Anbotsverpflichtung eines insolventen Gesellschafters.

Außerdem befasst sich der OGH in seiner Entscheidung auch mit der Frage, ob in den Abfindungsbestimmungen zum Aufgriffsrecht ein Abschlag vom Aufgriffspreis im Insolvenzfall eines Gesellschafters zulässig ist. Dazu hält der OGH fest, dass unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes im Insolvenzfall eine sittenwidrige Gläubigerbenachteiligung vorliegen könne, wenn der für den Fall der Insolvenz vorgesehen Aufgriffspreis sich von demjenigen in vergleichbaren Fällen unterscheide. Demnach ist ein gesellschaftsvertraglich vereinbarter Aufgriffspreis, der unter dem Verkehrswert (Schätzwert) eines Geschäftsanteils liegt, für den Aufgriffsfall der Insolvenz eines Gesellschafters nur zulässig, wenn dieselbe Preisreduktion gleichsam auch für jede Konstellation des freiwilligen (zB Verkauf) und unfreiwilligen (zB Ausschluss) Ausscheidens des Gesellschafters vereinbart wird. Alle Fälle des Ausscheidens müssen daher gleich behandelt werden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war im Fall des Ablebens des Gesellschafters oder wenn alle Gesellschafter einem Verkauf eines Gesellschaftsanteils zustimmten, ein höherer Aufgriffspreis im Gesellschaftsvertrag vereinbart, als für den Fall der Insolvenz des Gesellschafters. Ein Gesellschafter konnte daher im Falle des freiwilligen Verkaufs seines Geschäftsanteils den vollen Verkehrswert lukrieren, während die Insolvenzgläubiger im Falle der Insolvenz des Gesellschafters Preisreduktionen hinnehmen mussten. Aufgrund dieser evidenten Gläubigerbenachteiligung hat der OGH die durch die Vorinstanzen verweigerte Eintragung bestätigt.

In diesem Zusammenhang lässt der OGH allerdings die Frage offen, ob nicht im Einzelfall allein die Höhe des Abschlages auf den Verkehrswert eines Geschäftsanteils sittenwidrig sein kann (zB wenn aufgrund des Abschlages der Aufgriff mehr einer (zwangsweisen) Schenkung als einem Verkauf nahekommt). Besonders krasse Abschläge auf den Aufgriffspreis in Gesellschaftsverträgen sollten eher vermieden werden. Letztlich wird aber erst die zukünftige Judikatur zeigen, ab welcher Höhe von einem sittenwidrigen Aufgriffsrecht und/oder Abfindungsklausel auszugehen ist.

zurück