Grobe Fahrlässigkeit bei Überfall auf Juwelier

Grobe Fahrlässigkeit bei Überfall auf Juwelier

Keine grob fahrlässige Herbeiführung eines Versicherungsfalles, wenn die elektronisch verschlossene Eingangstür durch bloßes Aufdrücken der Zarge geöffnet werden kann und die Mitarbeiterin – während des sichtbaren Dekorierens des Schaufensters – keinen Alarmtaster trägt.

Sachverhalt

Die Klägerin hat bei der Beklagten eine Reise- und Warenlagerversicherung. Zu den versicherten Geschäftsräumen der Klägerin gehört ein Juwelierladen, in dem sich im September 2020 ein Raubüberfall ereignete, wobei der Klägerin mehrere Gold- und Schmuckwaren von unbekannten Tätern geraubt wurden.

Die Angestellte dekorierte die hell erleuchteten Auslagen mit dem Rücken zur Tür mit Schmuckstücken, wobei sie zu diesem Zweck die Tür des Tresors offen ließ. Der vor der Tür vorhandene Rollbalken war zu diesem Zeitpunkt nicht heruntergelassen. Zwei Täter verschafften sich gewaltsam mit einem Schraubendreher Zutritt zum Geschäftsraum, indem sie dieses Werkzeug zwischen Türblatt und Türrahmen schoben und auf diese Weise die mit der elektronischen Falle verschlossene, jedoch nicht mit dem Schlüssel versperrte Geschäftseingangstür überwanden. Der Überfall dauerte 40 Sekunden. Zum Zeitpunkt des Überfalls trug die im Geschäft anwesende Angestellte – mit Duldung des Geschäftsführers der Klägerin – keinen Alarmtaster.

Die Klägerin ließ 2014 den in der Sicherheitsbeschreibung angeführten elektronischen Ladeneingangstüröffner installieren. Die Sicherheitsbeschreibung gab keine Verbesserungs- oder Änderungsanordnungen bezüglich der Ausgestaltung des Türrahmens bzw der Türzarge vor; auch gab es keine ausdrücklichen Anweisungen dahingehend, dass etwa das Dekorieren der Auslagenscheibe noch vor dem laufenden Geschäftsbetrieb stattzufinden habe. Trotz der elektronisch verschlossenen Eingangstür zum Geschäftslokal konnte die Eingangstür zum Geschäft der Klägerin mit sehr geringem Kraftaufwand durch bloßes Aufdrücken/leichtes Zur-Seite-Drücken der Zarge geöffnet werden. Das war weder dem Geschäftsführer der Klägerin noch dem die Maßnahmen kontrollierenden Versicherungsvertreter bewusst.

Die Klägerin begehrt Ersatz des beim Raubüberfall entstandenen Schadens. Die Beklagte wendet (unter anderem) die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls ein.

Besondere Vereinbarungen

Nach einem Raubüberfall im Jahr 2014 forderte die Beklagte Verbesserungen der Sicherheitsvorkehrungen, die in „Besonderen Vereinbarungen“ sowie dem Lageplan und der Sicherungsbeschreibung vom 11. 12. 2014 unter Beteiligung der Beklagten zusammengefasst wurden. Diese lauten auszugsweise:

Sicherungsbeschreibung

T1 … Ladeneingangstür, Metallrahmen mit Verbundsicherheitseinsatz (wie SF); 1 Profilzylindersicherheitsschloss 2-tourig, elektronischer Türöffner (Zeiten siehe Police)“

„4. Lageplan und Sicherungsbeschreibung

Folgende Ergänzungen zum Lageplan sind Grundlage für den Versicherungsschutz:

– Ware aus Gold wird ausschließlich in den Schaufenstern, die über Polycarbonat-Innenverglasung verfügen oder im Kassenpultschrank aufbewahrt. Die Schlüssel zu den Schaufenster-Innentüren dürfen nicht stecken und für den Schlüssel zum Kassenpultschrank gilt die Regelung gemäß o.g. Ziffer 3.

– Die Ladeneingangstüren (Risiko A und B) sind ständig verschlossen zu halten und nur per Fernbedienung für den kurzfristigen Eintritt von Kunden zu öffnen.

– Die Personen, die den Laden (Risiko A und B) morgens öffnen und abends schließen, müssen einen mobilen Überfallmelder bei sich tragen.

OGH-Entscheidung

Nach § 61 VersVG ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführt. Es handelt sich dabei um einen (verhaltensabhängigen) Risikoausschluss (RS0080128). Wird der Risikoausschluss des § 61 VersVG behauptet, so muss der Versicherer auch die grobe Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers an der Herbeiführung des Versicherungsfalls beweisen (RS0080378).

Grobe Fahrlässigkeit wird allgemein im Versicherungsvertragsrecht dann als gegeben erachtet, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen; wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, was offenbar unter den gegebenen Umständen hätte geschehen müssen (RS0080371). Grobe Fahrlässigkeit setzt also ein Verhalten voraus, von dem der Versicherungsnehmer wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, die Gefahr des Eintritts eines Versicherungsfalls herbeizuführen oder zu vergrößern (RS0030324; RS0080414).

Die Zusammenschau der der Klägerin vom Erstgericht vorgeworfenen Verhaltensweisen ergibt kein Verschulden in einem derartigen Ausmaß:

Dass die elektronisch verschlossene Eingangstür durch bloßes Aufdrücken der Zarge geöffnet werden konnte war dem Geschäftsführer der Klägerin bis zum gegenständlichen Vorfall nicht bewusst. Ein Tragen des Alarmtasters hätte an dem binnen 40 Sekunden abgeschlossenen Raubüberfall nichts zu ändern vermocht und das sichtbare Dekorieren des Schaufensters vermag – ausgehend davon, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt auf eine elektronisch gesicherte Tür vertrauen durfte – für sich genommen einen Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht begründen. Die von der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung ins Treffen geführte besondere Helligkeit der Beleuchtung – oder das Dekorieren besonders wertvoller Schmuckstücke – mag zwar die Aufmerksamkeit von Passanten anziehen, das begünstigt aber nicht unbedingt einen Überfall, der bevorzugt nicht vor aller Augen stattfinden soll.

Der Versicherungsfall wurde daher von der Klägerin insgesamt nicht grob fahrlässig herbeigeführt, weshalb die Beklagte nicht aufgrund dieses Umstands leistungsfrei ist.

 

Beitrag von Julia Loisl.

zurück